Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
schwerlich noch als sittsam zu bezeichnenden weißen Hemdchen mit Krügen Bier aus einem großen Fass und verteilte es kostenlos an jeden Zuschauer, der sich gerade in Reichweite befand. Längst begleitete den Wagen eine Horde begeisterter Jünglinge, die sich begierig nach der unvermuteten Gabe drängten.
Im Anschluss an den Brauerzunft-Festwagen und sein lärmendes Gefolge schaukelte das Prunkgefährt der Musikanten-Zunft heran; allerdings hatte Jenga es schon deutlich genug gehört, ehe es in Sicht kam. Der ganze Wagen war voller Fiedler, Harfenisten und Flötisten, die eine munter-fröhliche Weise spielten, während sie am Großen Saal vorbeifuhren; bloß ging diese bisweilen im Aufgrölen der Anhänger des Gerstensaftes unter, wenn vorn die Mädchen vom Brauerei-Festwagen erneut gefüllte Krüge hinabreichten. Alles in allem besehen verlief der Umzug durchaus unterhaltsam, aber nach zehn oder mehr Festwagen schweiften Jengas Gedanken, wie er merkte, immer häufiger zu anderen Angelegenheiten ab. Vor fünf Tagen war Sergeant Nork mit der Nachricht Tarjanians eingetroffen, der karische Gesandte befinde sich auf dem Weg zur Zitadelle. Es ließ sich kein einleuchtender Grund erkennen, weshalb der Gesandte so bald nach Medalon zurückkehrte oder warum er den beschwerlichen Landweg nahm. Die einzige Erklärung, die Jenga einfiel, war die Möglichkeit, dass der Gesandte vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt da sein wollte. Wenn Norks Angaben stimmten - und es gab keinen Anlass, wieso man sie hätte anzweifeln sollen -, hätte er schon vor Tagen ankommen müssen. War dem Gesandten etwas zugestoßen? Oder Tarjanian? Hatte irgendein Zwischenfall sie aufgehalten? Oder war ihr Eintreffen durch irgend] emandes Eingreifen verzögert worden? Diese Fragen quälten Jenga ähnlich dauerhaft wie Zahnschmerz. Noch ärger plagte ihn die Tatsache, dass Mahina den Gesandten gar nicht erwartete. Als er ihr Tarjanians Mitteilung gemeldet hatte, war sie ebenso überrascht gewesen wie er.
Um seine Sorgen noch zu mehren, vertrat Garet Warner fest die Überzeugung, dass Frohinia Tenragan irgendetwas im Schilde führte, und hatte schon vor mehreren Wochen um Erlaubnis gebeten, seinen Verdacht prüfen zu dürfen.
Jengas Pflicht bestand aus Medalons Verteidigung. Er hatte keine Vollmacht, um Vorgänge innerhalb der Schwesternschaft des Schwertes untersuchen zu können. Und eigentlich verspürte er auch keinerlei Wunsch, in etwas verwickelt zu werden, das seinen Ursprung bei Frohinia Tenragan hatte. Sie schmiedete unablässig Ränke und verfolgte geheime Absichten, seit er sie kannte, und nicht einmal er war gegen ihre Umtriebe gefeit.
Sein Bruder war seit dreiundzwanzig Jahren aus der Zitadelle fort und sein Verbrechen in Vergessenheit geraten. Zwar hatte sich Dayan an der Südgrenze bisher durch kein sonderliches Heldentum ausgezeichnet, doch zumindest auch keinen neuen Unfug angestellt. Aber Frohinia hatte Dayan keineswegs vergessen. Die Frau zur Linken Frohinias, Jacomina Larosse, die Herrin der Erleuchtung, übte ihr Amt aus, weil es Frohinia beliebt hatte, Jenga daran zu erinnern, dass ihre Aussage seinen Bruder an den Galgen bringen konnte. Der Umstand, dass Dayan damals nur ein einfältiger Kadett und Jacomina eine durchaus fidele Seminaristin gewesen war, verringerte nicht die Schwere seiner Tat. Vergewaltigung galt als Frevel, und Jacominas Schweigen war das Ergebnis einer Einmischung Frohinias. Darum hatte Jenga ein Auge zugedrückt, als der Fall im Verschwiegenen geregelt worden war, und er legte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, keinen Wert darauf, dass ein Mann mit Garet Warners überaus scharfem Verstand in Bezug auf Frohinia irgendwelche Nachforschungen unternahm.
Deshalb hatte er Garets Gesuch abschlägig beschieden und sich über diesen Entschluss zunächst nicht mehr den Kopf zermartert; seit aber Nork auf einem fast völlig entkräfteten Pferd in die Zitadelle galoppiert gekommen war, fragte sich Jenga ständig, ob er wirklich die richtige Entscheidung gefällt hatte. Hatte Frohinia etwas Ernsteres als gewöhnlich ausgeheckt? Stand es im Zusammenhang mit der unvermuteten Rückkehr des karischen Gesandten? Und wo blieb der Gesandte? Wo war Tarjanian? Während er Frohinia verabscheute und aufgrund der Macht, die sie über ihn hatte, nahezu verzweifelte, nahm ihr ungeliebter Sohn in Jengas Herz einen besonderen Platz ein. Schon im zarten Alter von zehn Jahren war er durch seine Mutter den Kadetten eingereiht
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