Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
sondern eher, um nicht im Gedränge unter jemandes Füße zu geraten. Dennoch wurde es früher Nachmittag, bevor die Menschenmasse sich merklich lichtete.
Gerade neigte Jenga zu der Ansicht, auch sich ein Mahl reichen lassen zu können, ohne zerdrückt zu werden, da sah er Garet Warner sich zielstrebig nähern. Er hatte den Obristen den ganzen Tag hindurch nicht gesehen und sich schon gefragt, wo er stecken mochte. Kundschafter-Befehlshaber zu sein entband nicht von der Teilnahme an den Gründungstagfeierlichkeiten, doch vermutete Jenga, dass Garet für sein Fernbleiben gute Gründe anführen konnte. Jenga vertraute ihm, genau wie Tarjanian, ohne Vorbehalte, aber obwohl er vor ihm Achtung hatte, hätte er gezögert, ihn einen Freund zu nennen.
»Zu gütig, dass Ihr doch noch erscheint, Obrist«, bemerkte Jenga trocken, als Garet ihn erreichte. »Wir halten Euch doch nicht von etwas Wichtigem ab, oder?«
Garet schmunzelte nicht einmal. »Leider ist das sehr wohl der Fall. Könnt Ihr diese Stätte verlassen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?«
»Wessen Aufmerksamkeit am wenigsten?«, fragte Jenga.
»Frohinia Tenragans«, antwortete Garet Warner.
Jenga schnitt eine böse Miene. »Ich habe Euch ausdrücklich verboten, Obrist, Euch in Belange der Schwesternschaft einzumischen.«
Sein missbilligender Blick nötigte Warner nicht mal zu einem Wimpernzucken.
»Tarjanian ist zurückgekehrt.«
Nun musste Jenga sich willentlich daran hindern, in Laufschritt zu verfallen.
Tarjanians zerzauste Erscheinung bot einen schroffen Gegensatz zur festtäglichen Uniform der Hüter in der Zitadelle. Er wartete in Jengas Dienststube und schaute durchs Fenster hinab auf den leeren Sammelplatz hinter dem Gebäude der Hüter-Heerführung; neben ihm stand ein junger Fähnrich mit braunen Augen und ähnlich ungepflegtem Äußeren. Beide Männer wirkten erschöpft.
»Ist der karische Gesandte mit Euch gekommen?«, fragte Jenga ohne Umschweife.
Tarjanian nickte. »Ich habe ihn mitsamt seinem Kaplan in die Gastgemächer bringen lassen.«
»Seinem Kaplan?«, wiederholte Jenga überrascht. Ritter Pieter reiste sonst kaum jemals in Begleitung eines Geistlichen. Es hätte seine Möglichkeiten, das Leben außerhalb Kariens zu genießen, zu sehr beschnitten. »Was will er hier? Wieso ist er wieder da?«
»Der Gesandte ist hier, um gegen Mahina aufzutreten. Er und Frohinia haben eine Art Abmachung getroffen.«
Schwer ließ sich Jenga in seinen ledernen Lehnstuhl sacken. »Was verspricht sie sich von einem solchen Verhalten?«
»Wahrscheinlich den Mantel der Ersten Schwester«, sagte Tarjanian matt. »Aber das ist noch nicht alles. Frohinia hat sich einverstanden erklärt, ihm für seinen Beistand R'shiel zu überlassen. Pieter zufolge hat der Allerhöchste zu dem Priester gesprochen und ihm die Weisung erteilt, R'shiel nach Karien zu verbringen.«
Jenga verzichtete vollständig darauf, seine Betroffenheit zu verbergen. »Das ist ja wohl lächerlich. Ihr seid doch gewiss einem Irrtum erlegen? Nicht einmal Frohinia könnte so tief sinken.«
»Wie schlecht Ihr meine Mutter kennt«, antwortete Tarjanian halblaut. »Allerdings versteht Ihr vielleicht ihr Vorgehen besser, wenn ich Euch enthülle, dass R'shiel nicht ihre Tochter ist. Und ebenso wenig Eure.«
»Ich kann Euch versichern, ich habe stets gewusst, dass sie nicht mein Kind ist«, entgegnete Jenga grimmig. »Aber wieso denn nicht ihre Tochter?«
Tarjanian verschränkte die Arme auf der Brust und lehnte sich ans Fenstersims. »Unterrichtet den Hochmeister über unsere Erkenntnisse, Fähnrich.«
Mit beachtenswerter Gefasstheit erzählte der Fähnrich die Geschichte der Begegnung mit Bereth und den Waisen, ließ jedoch Bereths Rückfall ins Heidentum unerwähnt. Jenga lauschte mit zunehmender Besorgnis, während der junge Mann ihm das Schicksal Heimbachs schilderte. Kurz blickte er Garet an, aber der Obrist kannte den Bericht schon, sein Gesicht blieb unbewegt. Tarjanian starrte zum Fenster hinaus in die Ferne, fast als ob ihm jegliches Interesse fehlte. Als der Fähnrich seine Ausführungen beendet hatte, lehnte sich Jenga zurück; er wusste kaum, wo er nun den Anfang machen sollte.
»Weshalb mag sie vorgetäuscht haben, R'shiel sei ihr Kind?«, fragte er, ohne sich an jemanden Bestimmtes zu wenden.
Tarjanian sah ihn an, als müsste er die Antwort längst kennen. »Das einzige Kind, das sie geboren hatte, war ein unerwünschter Knabe. Frohinia will eine Dynastie gründen. Dafür
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