Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
himmelwärts streckte, als beschwörte sie die in der Höhe schwebenden Gewitterwolken. War der Mann auf dem Berg vielleicht ein Zauberer oder Hexer, und musste man in den Wolken das Werk seiner Magie sehen? Oder gab das Unwetter, überlegte R'shiel, ein Wahrzeichen für das Walten des Wettergottes ab?
Hatten die Harshini überhaupt einen Wettergott gekannt? Für alles Übrige, so hatte den Anschein, hatten sie Götter gehabt.
»R'shiel ...!«
Schuldbewusst zuckte sie zusammen. Frohinias Blick fiel auf das Wandgemälde, ehe sie sich an ihre Tochter wandte.
»Wo ist denn der Gobelin geblieben?«, fragte sie gereizt.
»Hella hat ihn zum Säubern fortgegeben«, erklärte R'shiel, während sie sich eilends aufrichtete.
»Aber doch schon vor Wochen. Hella!«
Die alte Zofe erschien an der Tür und wischte sich die Hände an der Schürze. »Euer Gnaden?«
»Forsche nach, wo der Gobelin aus R'shiels Kammer steckt«, befahl Frohinia, »und zwar sofort! Heute Abend will ich ihn wieder da sehen, wo er hingehört.«
»Sehr wohl.« Hella drehte sich um und entfernte sich unter fortwährendem Genörgel.
Frohinia kümmerte sich nicht darum und wandte sich wieder R'shiel zu. »Du bist noch immer zu mager.«
»Ach, das ist dir aufgefallen?«
Frohinia wirkte zerstreut, so zerstreut sogar, dass sie den Spott überhörte. »Ich bin hier, um dir etwas zu sagen. Meinem Eindruck nach bist du wieder gesund, sodass ich für deinen weiteren Aufenthalt in meinen Gemächern keinen Grund mehr sehe. Du kannst heute ins Dormitorium zurückkehren. Wenn ich dich brauche, lasse ich dich holen.«
R'shiel schwand der Mut. Dieser Hinauswurf bedeutete, dass Frohinias Pläne dermaßen fortgeschritten waren, dass sie sich nicht mehr vereiteln ließen, selbst wenn sie stehenden Fußes aus zum Kabinett der Ersten Schwester eilte. »Wie du willst, Mutter.«
Geistesabwesend nickte Frohinia und blickte nochmals die Wandmalerei an. »Verfluchte Heiden ... Die Wand verursacht mir eine Gänsehaut.«
12
Beinahe zwei Stunden lang wälzte sich am Gründungstag der Festzug von der Zitadelle durch die Straßen bis zum Amphitheater. Das Wetter war für die Großveranstaltung günstig: Es war kühl, aber sonnig; kein Wölkchen trübte den blauen Himmel. Erste Schwester Mahina, das Quorum, dessen Familienangehörige, Meister Draco und der Oberste Reichshüter beobachteten den Umzug von der Freitreppe des Großen Saals aus. An der Spitze zogen die Trommler des Hüter-Heers, doch ihre schmissigen Rhythmen wurden durch den Jubel der Zuschauer, die fünf Reihen tief die Straßen säumten, nahezu übertönt. Dahinter folgten sämtliche Hüter der Zitadelle, die nicht damit betraut waren, die Ordnung unter den in der Festungsstadt zusammengeströmten Menschen aufrechtzuerhalten.
Zuerst kamen stramm in Reih und Glied, zehn Mann breit, die Fußkämpfer, dann die Reiter, deren tadellos gepflegte Rösser schmuck durch die gepflasterten Straßen klapperten und deren Auftritt den Zuschauern noch lauteren Beifall entlockte. Jengas strenge Miene lockerte sich ein wenig, während er, die Faust aufs Herz gedrückt, den Habachtgruß seiner Mannen erwiderte. Die Hüter waren gewissermaßen sein Leben, und ihr Anblick, wenn sie in prächtigem Aufzug aufmarschierten -die roten Waffenröcke frisch geplättet und die silbernen Knöpfe im Sonnenschein glänzend -, rührte sein Gemüt. Neben ihm stand, während die Reiterei vorbeizog, die Erste Schwester.
Mahina lächelte ihm zu. »Ihr könnt auf Eure Hüter stolz sein, Hochmeister«, sagte sie.
»Es sind Eure Hüter, Euer Gnaden«, entgegnete er voller Hochachtung für die Schwester.
»Dann erfüllen sie uns beide mit Stolz«, lautete ihre kluge Antwort.
Jenga dankte der Ersten Schwester mit einer Verbeugung und wandte sich wieder dem Festzug zu. Der Hüter-Reiterei schlössen sich unmittelbar die Festwagen der Handels- und Handwerkszünfte an. Den Anfang machte ein Wagen, auf dem ein riesenhaftes, aus Weide geflochtenes und mit Blumenbändern geschmücktes Schwein stand; er wurde gezogen von zehn stämmigen Männern in grünen Schürzen, an denen eine beeindruckende Vielfalt gefährlich aussehender Messer baumelten. Dichtauf rückte der Schlächterzunft die Brauerzunft nach. Wenn sie schon nicht als erste Vereinigung ihren Wagen durch die Festungsstadt rollen durften, wollten die Brauer jedoch, wie Jenga sah, unbedingt der beliebteste Festzugsteilnehmer sein. Zu diesem Zweck schöpfte ein Schwärm junger Frauen in
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