Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
Offenbar hatte er ein zu gewaltiges Gewicht, um fortgeschafft werden zu können, und zeichnete sich wahrscheinlich durch Unzerstörbarkeit aus. Und so war es den Schwestern, während sie in ihrem neuen Sitz sämtliche Hinweise auf die Harshini zu beseitigen versucht hatten, wohl unmöglich gewesen, sich des Steins zu entledigen. Deshalb hatten sie sich für die zweitbeste Lösung entschieden: nämlich ihn versteckt.
Allmählich verebbte das Beben. Nachgerade ehrfürchtig schaute sich Tarjanian im Saal um. Shananara hatte das Bauwerk zurück in den Zustand versetzt, den es zur Zeit der Harshini gehabt hatte. Obschon es fast Abend war, leuchteten die Säulen hell wie der lichte Tag. An der Saaldecke sah man ein Gemälde mit Darstellungen der Haupt-Gottheiten. Die Wandmalereien des Säulengangs zeigten weitere Götter. Die Bildnisse wirkten, als hätten sich im Lauf der Jahre Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Künstlern daran betätigt. Zumindest die Abschnitte, die er einigermaßen gut erkennen konnte, empfand er geradezu als herrlich. Auch gab es Schriften an den Mauern, vielleicht der Wortlaut von Liedern. Die unteren Säulen, die den Säulengang stützten, hatten jede eine Nische, und Tarjanian fragte sich flüchtig, welchen Sinn sie wohl haben mochten.
Da fiel sein Blick auf die karischen Priester, und nun konnte er sich nicht mehr mit dem Saal beschäftigen.
Bis zum letzten Mann waren sie auf die Knie gesunken. Mehrere schluchzten wie Kinder, denen man das Herz gebrochen hatte. Einige Geistliche zerrissen, indem sie ein fortwährendes Geheul der Verzweiflung ausstießen, ihre Kutten. Einer zerkratzte sich das Gesicht bis aufs Blut. Dann gellte ein grässlicher Schrei, ein Priester sprang plötzlich auf und torkelte blindlings auf Tarjanian zu.
Tarjanian fühlte, dass sein Magen sich aufbäumte, und musste alle Willenskraft aufbieten, um sich nicht zu erbrechen. Wo der Priester zuvor die Augen gehabt hatte, klafften jetzt zwei blutige Löcher. Die Augäpfel hielt er in den eigenen Händen. Der Narr hatte sich, um nicht die Wiederkehr der Harshini mit ansehen zu müssen, die Augen herausgerissen.
Tarjanian packte den Mann, der aus Schmerz und Empörung laut heulte, und rang ihn nieder. Verstimmt hob Tarjanian den Blick in die Richtung Shananaras, die inzwischen das Haupt gehoben und die Augen aufgeschlagen hatte. Falls das Verhalten der Geistlichen ihr Unbehagen bereitete, ließ sie es sich nicht anmerken.
Garet Warner half Tarjanian dabei, den außer Rand und Band geratenen Priester festzuhalten, während Shananara näher trat. Der Obrist sah so blass aus wie der feine Staub, der ihn bedeckte.
»Alle Wetter, also so etwas versteht Ihr darunter«, knurrte er die Königin an, »›kein Unheil‹ anzurichten?«
Kurz betrachtete Shananara den blinden Priester, bevor sie antwortete. »Das ist nicht mein, sondern Xaphistas Werk, Obrist. Ihn zu heilen hieße seinen Glauben zerstören, doch zählt ihm der Glaube mehr als das Augenlicht. Gäbe ich es ihm wieder und vertriebe ich ihm den Schmerz, er risse sich die Augen erneut heraus, sobald Ihr ihm den Rücken zuwendet.«
Auf eine gewisse, wenngleich verdrehte Weise überzeugten ihre Worte Tarjanian. Lieber litten und starben die karischen Geistlichen, als dass sie das Vorhandensein der Harshini oder das Dasein des Gottes der Heilkunst als Wahrheit anerkannten. Tarjanian bezweifelte nicht, dass Shananara dazu imstande war, den Mann zu heilen; er hatte die harshinische Fähigkeit des magischen Heilens am eigenen Leib kennen gelernt. Ebenso wenig jedoch hegte er daran Zweifel, dass sie Recht mit der Annahme hatte, der Mann werde sich, kaum dass man ihn unbeachtet ließ, ein zweites Mal verstümmeln. Die karischen Pfaffen waren ein übergeschnapptes Gesindel. Je früher R’shiel einen entscheidenden Schlag gegen Xaphista führte, umso vorteilhafter musste es sich auf die Beschaffenheit der Welt auswirken.
»Fort mit ihm ins Spital«, befahl Tarjanian und wich zurück, als zwei Wachen den Priester, der Widerstand leistete und unablässig ein Geheul ausstieß, in Gewahrsam nahmen.
Tarjanian richtete den Blick auf die übrigen Geistlichen, denen die mutige Tat ihres Bruders offenbar die Sprache geraubt hatte. Jetzt sahen sie aus wie Männer, die sich dachten, dass er etwas getan habe, worauf man stolz sein konnte. Wie viele von ihnen haben wohl das Gleiche in Erwägung gezogen? Für Xaphista leiden zu dürfen, bedeutete diesen Männern mehr als nur ein
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