Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
lebendiges Wesen.«
»Nach Eurem Verständnis mag die Zitadelle kein ›lebendiges Wesen‹ sein, Tarjanian, doch nach unseren Maßstäben ist sie allemal ein denkendes und fühlendes Wesen.«
»Das ist der Augenblick, von dem an ich mir den Rest erspare«, sagte Warner und erhob sich. »Bleibt Ihr da und hört Euch heidnische Märchen an, Tarjanian. Ich habe wahrhaft wichtigere Angelegenheiten zu erledigen.«
Shananara heftete ihren majestätischen Blick auf den Obristen. »Ihr seid Garet Warner?«
»Ihr habt von mir gehört?«
»Brakandaran hat eine hohe Meinung von Euch, bedenkt man, dass Ihr ein Mensch seid, Obrist.«
»So, tatsächlich?«
Tarjanian merkte Warners halblauter Antwort eine gewisse Schärfe an, und ihm wurde beklommen zumute. Wenn er nicht unverzüglich eingriff, mochte ein hässlicher Streit entstehen.
»Haben die Euren sich inzwischen leidlich eingerichtet, Eure Majestät?«
»Ja, habt Dank für die Nachfrage, doch haben wir uns die Freiheit erlaubt, die Wandbehänge und … sonstigen Behelfe zu entfernen, die benutzt worden waren, um den Ursprung der Zitadelle zu verbergen. Ich wage zu hoffen, dass Ihr dagegen keine Einwände erhebt. Es sieht bereits fast wieder wie einst aus.«
Soviel Tarjanian wusste, waren die meisten Schlafsäle übertüncht worden, um die harshinischen Fresken zu überdecken, die ursprünglich die Wände geziert hatten. Er seufzte. Erst seit wenigen Stunden waren die Harshini daheim, und schon richteten sie alles neu her.
»Ihr habt doch keine baulichen Beschädigungen verursacht, hoffe ich, oder?«
»So leicht kann man der Zitadelle kein Unheil zufügen, Hochmeister.«
Tarjanian durchschaute nicht so recht, was sie damit zum Ausdruck bringen wollte, und gelangte zu der Einsicht, dass er es lieber nicht so genau zu wissen wünschte.
»Garet Warner hat mir vorhin erzählt, dass Euer so überaus beeindruckendes Erscheinen am heutigen Morgen bei den Kariern beträchtliche Unruhe hervorgerufen hat.«
Shananara zuckte die Achseln. »Kämpfen können wir nicht auf Eurer Seite, Hochmeister, aber behilflich sein, wo es eben geht. Entweder leugnen Xaphistas Jünger unser Vorhandensein, oder sie schmähen uns als Inbegriff des Bösen. So oder so wissen sie nicht, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie uns erblicken.«
»Auch wir leugnen Euer Vorhandensein«, stellte Warner fest. »Dennoch verfällt unser Volk nicht aus Erschrecken der Kopflosigkeit.«
»Nein, Obrist, Ihr habt nie abgestritten, dass es uns gibt. Ihr habt versucht, uns auszurotten, und fälschlich geglaubt, Ihr hättet Erfolg gehabt. Das ist ein höchst bedeutsamer Unterschied.«
Der Obrist warf ihr einen missbilligenden Blick zu, verzichtete jedoch auf eine Entgegnung. Erneut erbebte das Gebäude, dieses Mal so stark, dass Tarjanian am Pult Halt suchte. Versonnen sah sich Shananara in dem Kabinett um, dann wandte sie sich an Tarjanian.
»Ich glaube, ich sollte wirklich etwas Vorbeugendes tun.«
»Was schwebt Euch denn vor?«
»Ich muss mit der Zitadelle sprechen. Sie fühlt unsere Anwesenheit, aber die gleichzeitige Gegenwart der Menschen verstört sie. Habe ich ihr erst einmal verdeutlicht, dass von Euch keine Gefahr für uns ausgeht, dürfte die Lage sich bald beruhigen.«
Garet Warner murmelte etwas, das verdächtig nach einem Fluch klang.
»Und wie könnt Ihr mit … ähm … mit ihr, einerlei was sie sein mag, denn wohl sprechen?«
»Zu diesem Zweck muss ich den Tempel der Götter aufsuchen. Dort ist der Geist der Zitadelle am stärksten.«
»Ich lasse Euch hingeleiten.«
»Bei sämtlichen Gründerinnen, Tarjanian! Ihr glaubt doch nicht etwa im Ernst, diese Frau könnte, indem sie zu einem Bauwerk redet, einem Erdbeben Einhalt gebieten, oder?«
Mit heiter gelassenem Lächeln wandte sich Shananara nochmals an Garet Warner. »Vielleicht solltet Ihr und der Hochmeister dabei zugegen sein, Obrist.«
»Warum? Damit wir Euch zu Mauern reden sehen?«
»Nein, Obrist«, erwiderte die Harshini-Königin voller ernster Würde. »Ihr solltet zugegen sein, weil Ihr und Euer Volk zweihundert Jahre lang in unserem Heim gewohnt habt. Ohne Gedanken an die Folgen habt Ihr es verwüstet und entweiht. Es ist an der Zeit, dass Ihr begreift, was Ihr getan habt.«
53
Ähnlich wie R’shiel hatte Tarjanian Tenragan die neuere Bezeichnung für den Großen Saal – nämlich Schwester-Francil-Saal – nie über die Lippen gebracht, ohne dass ihm die Zunge stockte. Zumindest dieses Übel ließ sich nun endlich
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