Dämonenkind 3 - Kind des Schicksals
R’shiel auf, ein auf einen schwarzen Marmorsockel gestellter Kristallklotz, so groß wie ein Mensch. Kerzen in Leuchtern aus reinem Silber erhellten den Altar, ihr Licht spiegelte sich wider in allen Farben des Regenbogens. Schon seit einer Weile betrachtete R’shiel den Stein; sie gab sich der Hoffnung hin, sein Geheimnis ergründen zu können.
»Es erfüllt mich mit Sorge, dass das Dämonenkind so wenig vertraut ist mit den Kenntnissen der Harshini.«
R’shiel wandte sich um. Durch die Mitte des Tempels, der von ihren Schritten hallte, strebte Großmeisterin Kalan auf sie zu. Kalan hatte den Tempel räumen lassen, als R’shiel den Wunsch geäußert hatte, ihn zu betreten, anscheinend infolge der Auffassung, sie bedürfe während ihrer Andacht der Ungestörtheit.
R’shiel verzichtete darauf, dem Befehl der Großmeisterin zu widersprechen. Ihren Zwecken kam es nur entgegen, wenn die Magier-Gilde sie für eine Harshini hielt. Es hätte wenig eingebracht, daran zu erinnern, dass sie bloß ein medalonisches Halbblut war, das man dazu erzogen hatte, in den Göttern und allem, was mit ihnen zusammenhing, ein Gräuel zu sehen.
» Euch erfüllt es mit Sorge? Mich bringt die Angst um den Verstand.«
Kalan schnitt eine sehr unfrohe Miene. »Ich wünschte, ich hörte einen Scherz.«
»Seid Euch gewiss, ich auch.«
Die Großmeisterin stieg die Stufen des Altars hinauf und blieb neben R’shiel stehen; kurz streifte ihr Blick den Kristall. »Ihr habt mich zu Euch gerufen?«
»Ich muss auf geistiger Ebene Verbindung mit dem Sanktuarium aufnehmen.«
»Und nun möchtet Ihr wissen, auf welche Weise Ihr dazu den Stein verwenden könnt?«
R’shiel nickte. »Glenanaran und die anderen Harshini liegen noch in Ohnmacht. Mir ist völlig unklar, wie ich ihnen Beistand leisten soll.«
»Wir stehen zutiefst in ihrer Schuld«, sagte Kalan.
»Wie also geht man an dieses Ding heran?«
Verzweifelt schüttelte Kalan den Kopf. »An dieses Ding ? Göttliche, Ihr habt die schlechte Angewohnheit, nachgerade jedes Mal, wenn Ihr den Mund öffnet, eine Lästerung auszusprechen. Ich hoffe, dass die Götter Euch vergeben.«
»Ich bin schon zufrieden, wenn sie sich um ihren eigenen Mist kümmern.«
Kalan stöhnte lauthals auf, enthielt sich jedoch jeder weiteren Bemerkung. Sie trat näher zum Stein und legte die Hand dagegen, als flöße er ihr Kraft ein; dann wandte sie sich wieder R’shiel zu.
»In längst vergangenen Zeiten, bevor die Schwesternschaft des Schwertes in Medalon zur Macht gelangte, verkörperte der Seher-Stein unser hauptsächliches Bindeglied zu den Harshini. Damals befanden sich Aberdutzende von Harshini auf Wanderschaft durch Hythria und Fardohnja. Medalon war ihre Heimat, aber die Lehrer wirkten weit und breit in allen Landen, selbst im fernen Karien, ehe dort der ›Allerhöchste‹ sein Joch errichtete. Damals gab es insgesamt fünf Seher-Steine.«
»Fünf? Was ist aus ihnen geworden? Wo sind sie denn heute?«
»Der Seher-Stein zu Schrammstein wurde, als Xaphista ganz Karien seiner Knute beugte, auf die Insel Slarn verbracht. Den Stein in der Zitadelle hat die Schwesternschaft beseitigt. Auch der Seher-Stein in Talabar ist verschwunden, jedoch weiß niemand etwas Sicheres über seinen Verbleib.«
»Und der fünfte Seher-Stein steht im Sanktuarium.«
Kalan nickte. »Nach dem Fortgang der Harshini hat der hiesige Stein sich beinahe zwei Jahrhunderte lang nicht gerührt. Aber vor ungefähr drei Jahren zeigte sich darin König Korandellan und wünschte Magus Brakandaran zu sprechen.«
»Er hat ihn auf die Suche nach mir entsandt.«
»Und heute steht Ihr vor eben diesem Stein, um Euch an König Korandellan zu wenden. Was für seltsame Wege die Vorsehung geht …«
R’shiel wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Seit der Ankunft in Groenhavn hatte sich eine sonderbare Stimmung Kalans bemächtigt. Vielleicht war der Angriff auf die Magier-Gilde die Ursache. »Versteht Ihr ihn zu benutzen?«
Erneut nickte Kalan. »Im Grundsätzlichen ist das Verfahren mir bekannt, allerdings habe ich es nie anzuwenden versucht. Seit die Harshini fort sind, ist uns viel Wissen abhanden gekommen. Uns liegen Schriften vor, die das Vorgehen im Wesentlichen beschreiben, doch weil wir keine harshinischen Lehrer haben, die uns alle Feinheiten erläutern könnten, hat sich für uns mancherlei als undurchführbar erwiesen. Ich kann den Stein nie und nimmer so wirksam wie Ihr benutzen. Ihr braucht lediglich die Hände an ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher