Dämonenturm - Band 1: Stein auf Schädel (German Edition)
»Er ist also sehr gut.«
»Unvorstellbar. Eine Stimme wie die seine habe ich mein Lebtag noch nicht gehört.«
»Ah!« Der Alte rieb sich die Hände. »Das wird sicher spannend. Ich würde ihn mir zu gerne ansehen, deinen Musterschüler. Wo steckt er denn?«
Mit einem schiefen Grinsen deutete Alagotis unauffällig auf die Kiste, die auf Brausesturm Blaubarts breiter Schulter ruhte.
»Da drin.«
Der Hofstaat versammelte sich – soll heißen jene Teile davon, die nicht mehr rechtzeitig hatten fliehen können. Gewänder raschelten, leises Gemurmel erfüllte die Säulenhalle. Die Blicke wanderten unruhig zwischen der kleinen eichenen Tür hinter dem Thron und der anderen, großen, doppelflügeligen aus schimmerndem Stahl, die hinaus in die Eingangshalle führte, hin und her.
Doch verweilten sie länger auf dem metallenen Portal. Manche Dinge fürchtete man noch mehr als einen mächtigen Herrscher.
»Wie bitte?« Ladwrik blinzelte mit seinen alten Augen. »Du transportierst deinen Schüler in einer Truhe ? Ein bisschen harte Disziplin, findest du nicht? Als wir auf Fahrt gegangen sind, habe ich dir einen eigenen Strohsack gegeben, und wenn es ging, sogar dein eigenes Zimmer.«
»Nein, nein, ich habe damit nichts zu tun! Er ist von selbst in die Truhe geklettert.«
»Seltsam, dass man so etwas gemütlich finden kann.« Der alte Sänger schüttelte den Kopf. »Also da ist mir mein Bett weitaus lieber.«
»Ich bin mir sicher, da würde er dir zustimmen, Ladwrik. Er hat sich in der Truhe versteckt, damit sein Vater ihn nicht erwischt. Ich glaube, der Mann hält nicht viel von einer Karriere als Sänger.«
»Wieso? Bänkelsänger ist ein sehr ehrenwerter Beruf, der Ruhm mancher Mitglieder unserer Zunft reicht weit hinaus in das Königr-«
»Es ist der Kerl, der die Truhe hält, Ladwrik. Der mit dem blauen Bart.«
»Oh.«
Der alte Sänger musterte Brausesturm Blaubart eingehend.
»Er sieht aus wie ich mir Hargrad von Kourwirr vorstelle. Du weißt schon, der berücht … bekannte Herr aus dem Lied, der zum alten König Anun, er ruhe in Frieden, gesagt hat-«
»Ja, ich weiß«, unterbrach Alagotis seinen Lehrmeister mit einem hastigen Blick zu dem zum Glück immer noch geschlossenen Portal des Thronsaals. An einige Dinge wurde der König nicht gerne erinnert.
»Allerdings ist er noch größer als Hargrad«, meinte Ladwrik nachdenklich. »Wenn sie ihn aufhängen würden wollen, müssten sie zuerst den Galgenpfosten verlängern. Armer Hargrad. Manchmal denke ich, er hatte es nicht wirklich verdient. Aber der alte König konnte recht empfindlich sein, wenn man sich etwas freier äußerte, besonders wenn es dabei um seine-«
»Psst!«
»Ach ja. Entschuldige.«
»Glaubst du, es besteht die Hoffnung, dass der König ihn aufknüpfen lässt?«, fragte Irustar mit einem hoffnungsvollen Blick auf Brausesturm Blaubart.
»Wohl kaum. Immerhin schlägt Arun nicht sehr nach seinem Vater. Außerdem bringen die Windfelser ihm Geschenke.«
»Und das soll ein Argument sein sie nicht aufhängen zu lassen?«
»Da hast du auch wieder recht. Wir können, so scheint es, nur abwarten und sehen, was passiert.«
Mit diesen Worten richteten Schüler und Meister ihre Blicke wieder auf das Portal des Thronsaals, das noch immer geschlossen blieb.
Mjir runzelte die Stirn.
Die Kiste schien ruhig dazustehen, und kaum ein Geräusch drang an seine Ohren. War es an der Zeit? Sollte er den Deckel öffnen?
22. Kapitel
Vasallen
An dieser Stelle entschied sich das weitere Schicksal unseres Helden.
Es hätte alles so anders kommen können, wenn er den Deckel der Truhe geöffnet, beim Anblick seines Vaters geschrien hätte, nach vornüber aus der Truhe gekippt wäre und sich beim Sturz den Hals gebrochen hätte.
Anders.
Sehr viel kürzer, zum Beispiel.
Mjir lehnte sich zurück.
Nein, doch wohl eher nicht. Es war zu riskant.
Die kleine Tür öffnete sich, und König Arun betrat die Säulenhalle.
Alle hielten den Atem an.
Der König lächelte und nickte dem Rittgardisten am Portal zu.
»Man lasse die Abgesandten von Fesinghorma eintreten«, befahl er mit fester Stimme.
Einige aus dem Hofstaat begannen verärgert zu murmeln und beäugten den König unzufrieden. Doch der lächelte das ruhige Lächeln, das so gut zu seinen festen, starken Gesichtszügen, seinem langen, noch kaum ergrauten Haar und seinem kräftigen Vollbart passte, und sprach: »Heute ist der Tag, an dem wir ein furchtbares Geschenk erhalten, Fürsten und Damen dieses
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