Dämonenturm - Band 1: Stein auf Schädel (German Edition)
von einer gepfefferten Portion Selbstbewusstsein.
Die Halle war langgestreckt, geformt wie ein großes Tortenstück, dessen breites Ende eine gewaltige Fensterfront bildete. Die Form der Halle war allerdings die einzige Referenz zu Nahrungsmitteln irgendeiner Art, die sich hier finden ließ. Einmal, so hieß es, hatte ein junger Studiosus der Sterndeutung einen Fettfleck auf einem von Winukin dem Weißen verfassten Manuskript hinterlassen. Er ward nicht mehr gesehen. Kurz darauf aber produzierte der Metzger der königlichen Küchen einige Dutzend Pfund sehr seltsam schmeckende Blutwürste. Magier konnten ein wenig eigen sein, wenn es um ihre Werke ging.
Lange, gebogene Regale voller Schriftrollen, Tontafeln und Codices nahmen den größten Teil des monumentalen Raumes ein. Davor befand sich ein freier Platz mit einigen großen, runden Lesepulten, an denen sich der Wissbegierige zum Studieren niederlassen konnte. Und ganz am Ende der Halle, in einer Nische versteckt, so im Schatten gelegen, dass man es kaum sehen konnte, lag eine Gittertür.
Eine verschlossene Tür. Eine Tür mit dem verrosteten, eisernen Abbild eines zerbrochenen Schlüssels. Um noch einmal ganz deutlich darauf hinzuweisen: eine äußerst geheimnisvoll wirkende, verschlossene Eisentür.
Mjir bemerkte sie nicht. Ziemlich erstaunlich in Anbetracht der Tatsache wie auffällig gut verborgen sie war. Er nahm sich eines der Bücher aus den großen Regalen, setzte sich an eines der Pulte und begann zu lesen.
Nichts.
Rein gar nichts. Mjir fächelte sich Luft zu. Eine große Fensterfront nach Süden war ja sicher angebracht in einer Bibliothek, in der man gutes Leselicht brauchte, aber die königlichen Baumeister hätten die Fenster vielleicht etwas kleiner gestalten und dafür so konzipieren können, dass es möglich gewesen wäre sie zu öffnen. Es war brütend heiß in der Halle der Gelehrsamkeit.
Niedergeschlagen sah Mjir auf den Bücherstapel vor sich. Keinen einzigen Hinweis auf die Inschrift des Ringes hatte er gefunden, obwohl er gute fünf Dutzend Bücher durchforstet hatte. Kein Hinweis. Nicht in ‚Abhandlung über die Historie der hohen Könige von Iakainor, Vasallen der Dreieinigen Kaiser vor ihrem Sturz’, nicht in ‚Die Geschichte des Dreieinigen Kaiserreichs und seiner Herrscher’ und nicht in ‚Schriften aus den lang vergangenen Zeiten’. Alle drei Bücher sahen dafür, dass sie in der Einleitung von sich behaupteten vor zwanzig- bis fünfundvierzigtausend Jahren von den Ahnen geschrieben worden zu sein, erstaunlich druckfrisch aus. Und der Hinweis links unten auf dem Einband ‚Urheberrecht liegt bei Hufoldt & Barging, Letterpressenmeister, Brückenallee 23, Batrilon’ schien ebenfalls nicht auf die Authentizität der Werke hinzudeuten. Mjir bezweifelte, dass die Herren Hufoldt und Barging zwanzigtausend Jahre alt waren.
‚Nun ja‘, dachte er sich, ‚ich habe es zumindest versucht.‘
‚ Sind wir fertig? ’, fragte eine schläfrige Stimme in seinem Kopf.
‚Hast du etwa geschlafen?’
‚ Ja. War sehr erholsam. Als Gewissen bekommt man nicht oft eine Ruhepause. Also, wenn du einmal vorhaben solltest etwas zu klauen oder jemanden umzubringen, weißt du jetzt, was du zu tun hast. Les’ vorher einfach ein Buch und ich werde dich nicht behelligen .’
‚Ich habe NICHT vor jemals etwas zu stehlen, und ich denke nicht im Traum daran jemanden umzubringen!’
‚ Nur solange du wach bist, eh? Nun, das ist bei den meisten Menschen so .’
‚Du drehst mir jedes Wort im Mund, nein, verdammt nochmal, sogar schon im Kopf herum! Sei endlich still! Ich habe noch immer nichts herausgefunden.’
‚ So wird das auch nichts ’, meinte die innere Stimme abschätzig. ‚ Wenn du etwas wissen willst, frag doch unseren Freund da drüben. Der wird es dir sicher sagen können .’
‚Freund? Wen meinst du?’
‚ Da drüben natürlich, du dämliche Blindschleiche! Er kommt gerade aus der auffällig unauffälligen vergitterten Tür dort hinten. Die mit dem Bild des zerbrochenen Schlüssels darauf .’
Mjir wandte seinen Kopf und sah aus der düsteren Türnische eine gebeugte Gestalt heraustreten, die selbst im Schatten die Blicke noch auf sich zog, gekleidet in eine lange, verschlissene, knall-orange Robe.
Mjir zuckte zusammen und versuchte vergeblich seine Augen von der Gestalt zu wenden. Oh, nein. Nicht er. Aber … der junge Windfelser zögerte.
Schließlich war der Mann ein Magier, auch wenn er sich nicht entsprechend benahm.
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