Dämonisches Tattoo
groß dieses Scheißteil inzwischen ist?«
Quinn senkte zerknirscht den Blick. »Es war für eine gute Sache.« Plötzlich runzelte er die Stirn und sah wieder auf. »Wissen Sie, was ich nicht verstehe?«
»Was?«
»Sie sagten, Cassell wollte Sie umbringen, und es scheint ihm vollkommen gleichgültig zu sein, ob man ihn dabei erwischt oder nicht. Wenn er mit seinem Leben ohnehin abgeschlossen hat, warum hat er sich das Tattoo nicht einfach selbst machen lassen und sich anschließend eine Kugel in den Kopf gejagt?«
Chase zuckte die Schultern. »Vielleicht hatte er Angst, dass er schlecht zielt und am Ende mit einer Gehirnverletzung überlebt.« Wenn Frank wirklich alles egal war und es ihm nur noch um seine Rache ging, war das die einzige Erklärung, warum er das Risiko eingegangen war, jemanden in die Sache hineinzuziehen, der ihm entkommen und ihn an die Polizei verraten konnte. Er wollte sichergehen, dass der Killer wirklich starb – und das konnte er nur, wenn er entweder den Killer oder den anderen Teil der Verbindung tot vor sich liegen sah.
Chase trank seinen Kaffee aus. Er war kalt und bitter, ebenso wie seine Gedanken. »Aber Sie sind zurückgekommen. Warum?«
»Er hat mich fortgeschickt, ohne dass ich meine Sachen mitnehmen konnte. Ich fuhr mit dem Aufzug nach unten und wollte das Haus schon verlassen, als ich entschied, sie lieber gleich zu holen. Es sind einige alte Gegenstände meines Volkes … Als ich nach oben kam, hörte ich Lärm. Und einen Schuss. Ich dachte daran, die Cops zu rufen, aber die hätten es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Den Rest kennen Sie.«
Chase nickte. Ohne Quinns Eingreifen wäre er nicht mehr am Leben. Er dachte eine Weile nach. Etwas an der Art, wie der Indianer über das Ritual gesprochen hatte, machte ihn misstrauisch. Es dauerte allerdings eine Weile, bis er herausfand, was es war.
Erst letztes Jahr bin ich auf das Ritual gestoßen.
Das waren seine Worte gewesen. »Diese ganze Sache mit dem Dämon –«
»Es ist ein Geist«, verbesserte Quinn ihn sofort. »In unserer Sprache heißt es Chaquinatok – lange vergessene Seele.«
»Für mich ist es ein Dämon«, beharrte Chase. »Das ist kein gängiges Ritual Ihres Volkes, oder?«
»Was heißt schon gängig?«
»Zum Beispiel dass es erprobt ist und die Nebenwirkungen bekannt sind.« Das Ganze erinnerte Chase an Arzneimitteltests, nur dass es hier vorher wohl keine Labortests gegeben hatte und es vermutlich auch nicht helfen würde, wenn er sich wegen der Nebenwirkungen an seinen Arzt oder Apotheker wandte. Von der fehlenden Packungsbeilage ganz zu schweigen.
»Nun ja.« Der Indianer fühlte sich sichtlich unwohl unter Chase’ Blick. Viel fehlte nicht und er würde anfangen sich zu winden. »Es handelt sich dabei um ein in Vergessenheit geratenes Ritual, das ich in den Aufzeichnungen meines Großvaters entdeckt habe, die er in einer Truhe auf dem Dachboden aufbewahrt.«
»Und Ihr Großvater würde Ihnen vermutlich den Kopf abreißen, wenn er wüsste, was Sie getan haben«, mutmaßte Chase.
»Zumindest wäre er nicht erfreut.«
Was sicherlich eine ziemliche Untertreibung war. Doch trotz allem war der Indianer so entschlossen, den Mörder seiner Schwester endlich zur Strecke zu bringen, dass er bereit war, den Zorn seines Großvaters auf sich zu ziehen. Gewisse Parallelen zu Franks Verhalten ließen sich nicht verleugnen.
32
Es war später Vormittag, als Frank das Revier in der M Street betrat. Er musste mit Munarez sprechen und herausfinden, wie der aktuelle Stand der Ermittlungen in Sachen Chase Ryan war. Seit Chase ihm an der Mall entkommen war, gab es keine Spur mehr von ihm. Vielleicht hatten Munarez’ Leute mittlerweile etwas in Erfahrung gebracht, was ihn an sein Ziel bringen konnte.
Frank durchquerte die Halle mit großen Schritten, vorbei am Empfangstresen und den doppelten Schwingtüren, die in das eigentliche Revier führten, in dem die Streifenpolizisten ihren Dienst taten, wenn sie nicht auf den Straßen unterwegs waren. Er fuhr in den dritten Stock, ging den Gang entlang, vorbei an einem Wartebereich mit den Automaten, an denen sich Besucher Kaffee und Snacks ziehen konnten, zum Großraumbüro, in dem die Arbeitsplätze der Mordkommission lagen. Es herrschte nur wenig Betrieb. Die meisten schienen entweder bereits in der Mittagspause zu sein, an irgendwelchen Tatorten oder bei Zeugenbefragungen. Munarez’ Schreibtisch war ebenso verwaist wie der ihres Partners Jim Button. Die beiden zogen sich
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