Dämonisches Tattoo
herauszufinden, was genau ihn im Inneren der Fabrik erwartete. Erst wenn er sich ein Bild von der Situation gemacht hatte, konnte er entscheiden, was er tun würde.
Er ging an einem Rolltor vorbei zu einem Seiteneingang, der über eine kurze Treppe zu erreichen war, und hämmerte mit der Faust gegen die Tür.
»Summers!«, rief er. »Ich bin hier. Wie geht es jetzt weiter?«
Er fürchtete schon, keine Antwort zu erhalten und lediglich Kates Leiche und die der Frau hinter der Tür vorzufinden, dann jedoch erklang Ben Summers’ Stimme: »Kommen Sie herein und verriegeln Sie die Tür hinter sich. – Und vermeiden Sie abrupte Bewegungen, ich bin ein wenig nervös.«
Chase drehte den Türknauf herum, zog die Tür weit genug auf, um durch den Spalt schlüpfen zu können, und zog sie sofort hinter sich wieder ins Schloss. Mit einem leisen Klicken rastete der Riegel ein, als er ihn vorschob.
Dämmriges Licht erfüllte die weitläufige Halle und verbreitete mehr Schatten als Helligkeit, trotzdem reichte es aus, ihn seine Umgebung zumindest halbwegs erkennen zu lassen. Zu seiner Rechten befand sich ein Glaskasten, der früher als Büro gedient haben musste. Die verdreckten Lamellen waren vorgezogen und verwehrten Chase den Blick nach drinnen. Er konnte nur hoffen, dass Summers dort nicht noch weitere Überraschungen bereithielt. Vor ihm führten drei Stufen nach unten in die weitläufige Halle, deren Dachkonstruktion von acht kantigen Säulen getragen wurde, die in Zweierreihen bis zum hinteren Ende verliefen. An einigen Stellen baumelten nackte Glühbirnen von der Decke und erhellten den Teil, den der kalte Schein der verdreckten Neonlampen im Zentrum der Halle nicht zu erreichen vermochte. In einer Ecke hatte sich Summers eingerichtet: Chase sah einen Tisch, einen Stuhl und etwas, was wie ein alter Sessel aussah. Der Rest lag hinter einer hüfthohen Mauer verborgen.
Keine fünf Meter von ihm entfernt stand etwas vor einer Säule, verhüllt von fließenden schwarzen Stoffbahnen, die bis auf den Boden fielen. Chase brauchte nicht erst darunterzusehen, um zu wissen, was er dort finden würde: die andere Frau.
»Bleiben Sie stehen, Chase.« Im Zentrum der Halle, unmittelbar unter einer Lampe, stand Ben Summers. Doch es war nicht der Anblick des Killers, der Chase’ Herz für einen Schlag aussetzen ließ, sondern Kates. Sie war noch immer an den Stuhl gefesselt, der Mund jetzt mit Klebeband versiegelt. Summers Hand ruhte auf ihrer Schulter, als wolle er verhindern, dass sie aufsprang und davonlief. Abgesehen davon, dass die Fesseln das nicht zulassen würden, wirkte sie nicht, als sei sie in der Verfassung dazu. Dort, wo Summers’ Schlag sie getroffen hatte, war ihre Wange geschwollen und die Ränder des Klebebandes blutig. Sie schien noch immer benommen zu sein. Was er jedoch in ihren Augen entdeckte, war schlimmer als alles andere. Es war nackte Angst, die er dort sah, eine Angst, von der er wusste, dass sie nicht ihrem eigenen Leben galt, sondern seinem.
Er war schon zwei Schritte auf sie zugegangen, als Ben den Kopf schüttelte.
»Sie wollen doch nicht, dass ich ihr die Halsschlagader durchtrenne?«
Chase blieb stehen, nicht weit von der Frau entfernt, die unter den Stoffbahnen keinen Laut von sich gab. »Was passiert jetzt?«
»Als Erstes verabschieden Sie sich von Ihrer Pistole«, befahl Summers. »Nehmen Sie das Holster ab, und ich rate Ihnen, die Waffe dabei nicht zu berühren.« In seiner Hand blitzte etwas auf, ein Skalpell, das er jetzt an Kates Kehle hielt. Beinahe spielerisch strich er mit der Klinge über ihre Haut, ohne sie dabei zu verletzen.
Chase löste das Holster. Er hielt die Finger, die er dazu nicht brauchte, weit abgespreizt, sodass Summers sehen konnte, dass er die Waffe nicht anfasste. Es war umständlich, sich auf diese Weise des Holsters zu entledigen, schließlich jedoch hielt er es in der Hand.
»Schieben Sie es über den Boden in meine Richtung. Wenn Sie mich nicht erzürnen wollen, sollte es genug Schwung haben, um bis zu mir zu kommen.«
Chase folgte den Anweisungen. Das Holster schlitterte über den Boden und wurde erst von Kates Füßen gebremst.
Summers nickte zufrieden. »Sie dürfen jetzt Ihr Geschenk auspacken.«
Chase rührte sich nicht.
»Machen Sie schon! Oder ist Ihnen das Leben Ihrer Freundin plötzlich nicht mehr wichtig?«
Ohne etwas zu erwidern, ging er zu der Frau, langsam und darauf bedacht, Summers stets seine Hände zu zeigen. Neben ihr befand sich eine
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