Dämonisches Tattoo
hatten sie einen parkenden Wagen entdeckt, der auf Summers zugelassen war. Die Polizisten hatten Abstand zum Gebäude gehalten, um nicht Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden. Ihnen war jedoch der matte Lichtschein aufgefallen, der durch die Ritzen der teilweise mit Brettern vernagelten Fenster nach außen drang.
Ein Lichtschein, den jetzt auch Chase sah.
Es hatte einige Debatten gegeben, ehe er Munarez davon hatte überzeugen können, ihn allein zu Summers gehen zu lassen, statt die Fabrikhalle mit einem SWAT-Team zu stürmen. Letztlich hatte sie einsehen müssen, dass er recht hatte. Die Spezialeinheiten waren dafür ausgebildet, nicht lange zu fackeln. Wenn Summers auch nur falsch zuckte, würden sie ihm eine Kugel in den Schädel jagen – und damit auch Chase. Mehr Sorgen als um sich selbst machte er sich jedoch um Kate und die andere Frau. Wenn Summers argwöhnte, dass sie ihm eine Falle stellten, würde er beide töten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Anita hatte darauf bestanden, ihn mit einem Mikrofon auszustatten und ihm, kaum dass er verkabelt war, das Signalwort genannt. Sobald er es aussprach, würde sie mit ihren Leuten die Halle stürmen.
Rotkäppchen
war zweifelsohne eines der idiotischsten Signalwörter, die er je gehört hatte, aber immerhin bestand damit nicht die Gefahr, dass er es zufällig verwenden und Munarez daraufhin zum Angriff blasen würde.
Obwohl ihm bewusst war, dass er Summers nicht einfach erschießen konnte, hatte er sich eine Pistole geben lassen. Wenn sich die Möglichkeit bot, würde er sie benutzen. Natürlich hatte er nicht vor, dem Fotografen einen Kopfschuss zu verpassen, aber einen Schuss ins Bein, um ihn an der Flucht zu hindern, zog er durchaus in Erwägung.
Die Fabrik, die einmal
Hendersons Tiles
geheißen hatte, befand sich in Eckington, einem nördlichen Teil von D. C., in einem Industriegebiet voller Fabriken und Lagerhallen. Flachbauten und Schornsteine wucherten hier wie Pilze aus dem Boden. Um diese Zeit war die Gegend ausgestorben, lediglich ein paar Schichtarbeiter waren unterwegs, um die sich die Polizei kümmerte und dafür sorgte, dass niemand
Hendersons Tiles
zu nahe kam. Die Straßen waren abgesperrt, die Einsatzwagen standen im Schutz einer anderen Fabrikhalle, und Munarez’ Team hatte sich auf dem Gelände verteilt, bereit zuzuschlagen, wann immer Chase danach war, über Märchenfiguren zu sprechen.
Munarez stand neben ihm und starrte auf die Fabrik am Ende der Stichstraße. Sie hatte ihren Blazer gegen eine kugelsichere Weste getauscht, die Waffe war griffbereit und ihre Dienstmarke deutlich sichtbar am Gürtel befestigt. Sie hatte versucht Chase dazu zu bewegen, ebenfalls eine Schutzweste anzuziehen, doch er bezweifelte, dass das Kevlar ihm helfen würde. Ben Summers war nicht der Typ, der um sich schoss.
Chase überprüfte noch einmal den Sitz seiner Waffe. »Bringen wir es hinter uns.«
Er wollte gehen, doch Munarez hielt ihn zurück. »Seien Sie vorsichtig, Ryan.«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen.«
Sie betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen, ein Ausdruck, der ebenso gut von Misstrauen herrühren konnte wie von der Dunkelheit. »Keine Heldentaten, okay?«
»Ich werde nichts tun, was andere gefährdet.«
Einen Moment noch ruhte ihr Blick auf ihm. Schließlich schien sie zu begreifen, dass er ihr nicht mehr als das versprechen würde. »In Ordnung«, nickte sie. »Jetzt hauen Sie schon ab!«
Chase trat aus dem Schatten des Gebäudes und folgte der Straße in Richtung Fabrik. Um ihn herum herrschte Totenstille. Lediglich seine eigenen Schritte und das Rascheln der Ratten hinter einem Müllcontainer waren zu hören. Keine Stimmen, keine Automotoren. Nichts. Entschlossen näherte er sich
Hendersons Tiles,
deren alter Firmenschriftzug sich noch immer als Schatten auf der Fassade abzeichnete, wo einst große Buchstaben befestigt gewesen waren.
Er kam an einem Parkplatz vorbei, der mit einem Maschendrahtzaun von der Straße abgetrennt war. Das Tor stand halb offen, doch bis auf einige Container und Unmengen von Unrat war der Parkplatz verlassen.
Chase versuchte die verbliebenen Augenblicke der Stille zu nutzen, die ihm noch blieben, bis er die Fabrikhalle erreichte, um sich Gedanken über sein Vorgehen zu machen. Er wusste, was Summers von ihm wollte, doch er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er Kate retten konnte, ohne der anderen Frau etwas anzutun.
Mit jedem Schritt wurde er schneller, getrieben von dem Wunsch, endlich
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