Dämonisches Tattoo
anderen war sie selbst zu sehen. Allerdings in ihren Arbeitsklamotten samt einer dicken Make-up-Schicht.
»Du meine Güte«, flüsterte sie, von ihrem eigenen Anblick erschreckt. »Ich sehe aus wie ein Zirkusclown.«
Oder wie eine billige Schlampe.
»Alles für den Job, yeah.« Doch es klang selbst in ihren Ohren wenig enthusiastisch.
Der Sprecher berichtete von einer Schießerei in einer Wohnung in Richmond und davon, dass ein Mordversuch an einem FBI-Agenten gescheitert war. »Das Opfer hat erst vor Kurzem unter tragischen Umständen seine Frau verloren und sah sich nun einem Anschlag auf sein eigenes Leben ausgesetzt – von seinem früheren Partner, Special Agent Chase Ryan, der sich seitdem mit einer Geisel auf der Flucht befindet.«
Kate hörte sich den Bericht bis zum Ende an, doch abgesehen von wilden Spekulationen und ein paar Informationen über sie – das Entführungsopfer –, gab es keine neuen Erkenntnisse. Nichts, was für sie von Interesse gewesen wäre.
Warum zum Teufel sollte er Cassell umbringen wollen? In seiner Waffe war nicht einmal ein Magazin gewesen. Er könnte es leer geschossen und dann entfernt haben. Ryan mochte vieles sein – er war ganz bestimmt ein arroganter Mistkerl –, doch er war ganz sicher kein Mörder. Aber wer sollte ihr das garantieren? Bis vor ein paar Stunden war er auch noch kein Entführer gewesen. Überhaupt benahm er sich vollkommen anders, als sie es von ihm gewohnt war.
Ihm gefallen meine Sommersprossen.
Okay, das war vielleicht ein dämlicher Kommentar von ihm gewesen, den sie wohl kaum als Gradmesser für seine Veränderung heranziehen konnte. Seine Worte bewiesen wohl eher, dass Beipackzettel sich nicht irrten, was Nebenwirkungen anging. Aber egal wie sie es auch drehte und wendete, sie konnte nicht leugnen, dass er nicht der war, den sie bisher in ihm gesehen hatte.
Das wäre ich auch nicht, wenn mich jemand jagen würde.
Abgesehen davon war er verletzt und schien unter dem Einfluss irgendwelcher Drogen gestanden zu haben – zumindest hatte sie den Eindruck gehabt, als sie im Wagen seinen verschleierten Blick bemerkt hatte. Vorhin jedoch waren seine Augen wieder klar gewesen. Was immer es auch gewesen sein mochte, es hatte seine Wirkung verloren.
Als Ryan aus dem Bad kam, trug er die Jeans, die sie ihm besorgt hatte – den Strickpullover hielt er in der Hand. Sein Haar war noch feucht und vom Handtuch zerzaust, was ihn ein wenig verschlafen aussehen ließ, doch er wirkte jetzt lebendiger als vorhin. Selbst die dunklen Schatten unter seinen Augen schienen sich zurückgezogen zu haben.
»Was starren Sie mich so an?«
Ihr war nicht einmal aufgefallen, dass sie das tat – aber er hatte recht. In Jeans und mit nacktem Oberkörper sah er ausgesprochen männlich aus. »Entschuldigung. Ich … die Jeans sehen ungewohnt an Ihnen aus.«
»Ich bin nicht im Anzug zur Welt gekommen.«
In Jeans allerdings auch nicht.
Er warf den olivfarbenen Pullover aufs Bett und bat sie um ein Pflaster für seinen Nacken. Kate ging zum Tisch, fischte die Packung aus einer der Tüten, schnitt eines zurecht und gab es ihm. Mit einem Ruck zog er die Schutzstreifen ab, hob den Arm und zuckte zusammen.
»Warten Sie.« Kate nahm es ihm aus der Hand. »Lassen Sie mich das machen.« Sie klebte das Pflaster auf und trat einen Schritt zurück, damit er den Pullover anziehen konnte. Er spannte ein wenig über der Brust und den Armen, aber er passte. Sein Blick fiel auf den Fernseher. Die Nachrichten wurden gerade wiederholt und sie ließ ihm die Zeit, sich alles anzuhören. Als am Ende des Berichts noch einmal ihre beiden Fotos eingeblendet wurden, schaltete er den Fernseher aus.
»Sieht so aus, als könnten Sie sich so schnell nirgendwo mehr blicken lassen.«
»Nein, wohl eher nicht.« Er sah sie an. »Sie sind jetzt auch berühmt. Die Talkshows werden sich um Sie reißen.«
Kate schnaubte. »Als ob mich das interessiert.«
»Was interessiert Sie dann?«
Meinen Job gut zu machen und Aufmerksamkeit für meine Arbeit zu bekommen, nicht dafür, dass ich zufällig entführt wurde.
»Ich will immer noch wissen, was eigentlich los ist.«
*
Vermutlich war es nur fair, ihr zu erklären, warum sie überhaupt in diese Lage geraten war. Reporterin hin oder her, er hatte sie in die Sache mit hineingezogen, jetzt schuldete er ihr zumindest den Ansatz einer Erklärung.
»Frank hat mich hereingelegt«, sagte er. »Ich sollte etwas für ihn tun, und als ich mich geweigert habe, hat er mich
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