Dämonisches Tattoo
unter den Augen und sprießenden Bartstoppeln am Kinn. Seine Inventur ergab eine kleine Platzwunde an der Stirn, dort, wo Frank ihn niedergeschlagen hatte, den Streifschuss am Hals, der unter einem Pflasterverband verborgen lag, und ein großes Pflaster unterhalb seines Nackens. Einige Zeit lang starrte er auf das Pflaster, ehe er es packte und mit einem Ruck herunterriss.
Er drehte den Kopf und musste sich verrenken, um das Tattoo im Spiegel betrachten zu können. Die Haut dort war rot und sah tatsächlich entzündet aus. Vielleicht war es auch nur die natürliche Reaktion auf diese beschissen schmerzhafte Methode. Gefärbte Fäden und eine lange Nadel. Verdammter Neandertaler!
Chase wusste nicht, was er erwartet hatte, vielleicht ein geheimnisvolles Symbol oder irgendwelche Zauberformeln. Stattdessen sah es aus wie eine verschlungene Ranke, deren Hauptast sich an seinem Nacken in zwei kleinere Zweige teilte, die rechts und links seines Halses verliefen, ehe sie nach etwa einem Zoll endeten.
Es gab vermutlich hässlichere Motive. Allerdings war es erstaunlich, wie jemand in derart kurzer Zeit und mit diesen primitiven Mitteln ein Tattoo von der Länge einer Hand zustande bringen sollte.
Magie,
flüsterte eine Stimme in ihm.
»Unsinn!« Chase schüttelte entschieden den Kopf und stellte die Dusche an.
10
Kaum hatte sich die Badezimmertür hinter Agent Ryan geschlossen, ließ sich Kate mit einem erleichterten Seufzer aufs Bett fallen. Noch immer hatte sie den Anblick seines durchtrainierten Oberkörpers vor Augen, definitiv etwas, was sie unter seinem Anzug nicht zu finden erwartet hatte, und spürte die Hitze in ihrem Gesicht. Sie war rot geworden wie ein Schulmädchen!
Wie tief konnte sie noch sinken?
Dabei war sie für gewöhnlich nicht einmal schüchtern. Heute Nacht jedoch fühlte sich alles auf eigenartige Weise falsch an. Als hätte jemand die Welt gepackt und auf den Kopf gestellt. Agent Ryan benahm sich nicht wie der Bürohengst, für den sie ihn gehalten hatte, sondern vielmehr wie einer dieser Actionhelden aus dem Kino. Entgegen ihrer früheren Einschätzung trug er sehr wohl eine Waffe – auch wenn die nicht geladen war. Der Himmel allein wusste, warum der Kerl mit einer ungeladenen Knarre herumlief!
Noch immer glaubte sie zu spüren, wie die Wärme seiner Haut in ihren Fingerspitzen prickelte, und schalt sich dafür eine Idiotin. Der Kerl machte sie verrückt! Erst versetzte er ihr den Schock ihres Lebens und dann schaffte er es auch noch, sie in Verlegenheit zu bringen.
Statt über ihn nachzudenken, sollte sie sich lieber Sorgen machen. Bundesbeamter hin oder her, Agent Ryan hatte sie entführt und mit einer Waffe bedroht. Sie müsste in Panik sein und alles daransetzen, so schnell wie möglich von hier fortzukommen, aber sie hatte nicht einmal die Polizei alarmiert. Stattdessen hatte sie ihn in ihrem Zimmer versteckt und verarztet.
»Du bist keine Idiotin, Lombardi. Du bist vollkommen irre!«
Die Ereignisse der letzten Stunden waren alles andere als spaßig gewesen, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass diese Nacht ein entscheidender Wendepunkt in ihrem Leben – ihrer Karriere – sein konnte, und Chase Ryan war dabei ein entscheidender Faktor.
Wenn er glaubte, dass sie sich mit einem: »Es ist besser, wenn Sie nichts wissen«, abspeisen ließ, dann war er auf dem Holzweg. Sie würde schon herausfinden, warum seine Leute hinter ihm her waren und wieso er aussah, als hätte ihn jemand durch den Fleischwolf gedreht. Vielleicht konnte sie ja etwas in Erfahrung bringen, solange er im Bad war.
Sie schaltete den Fernseher an und zappte sich durch die Kabelkanäle, bis sie fündig wurde. Ein Sprecher berichtete von den Ereignissen des vergangenen Abends, während ein Einspieler lief, der das Haus in Richmond zeigte, zu dem Kate dem Agenten gefolgt war. Im Hintergrund glaubte sie Detective Munarez zu erkennen, die mit Agent Cassell sprach und sich Notizen machte.
Der eigentliche Inhalt des Berichts gab kaum etwas wieder, was Kate nicht ohnehin schon gewusst hätte. Alles lief unter der großen Überschrift:
Durchgedrehter FBI-Agent nimmt Journalistin als Geisel.
Während im Hintergrund der Sprecher weitere Details verkündete, wurde der Film ausgeblendet und durch einen Splitscreen abgelöst, auf dem zwei Fotos zu sehen waren. Das eine zeigte Agent Ryan, geschniegelt und gestriegelt, als hätten sie das Bild aus seinem Dienstausweis genommen – was vermutlich auch der Fall war. Auf dem
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