Dämonisches Tattoo
ihr anders war, doch erst jetzt wurde ihm bewusst, wie groß diese Veränderung war. Sie trug kein Make-up und hatte auf Schmuck ebenso verzichtet wie auf eine auffällige Frisur. Ihr goldblondes Haar fiel in weichen Locken auf ihre Schultern und in ihren blauen Augen lag ein misstrauisches Funkeln. Ohne die Pampe, mit der sie für gewöhnlich ihr Gesicht zukleisterte, wirkte sie jünger, beinahe mädchenhaft. Die Stupsnase, auf der sich ein paar Sommersprossen zeigten, verlieh ihren Zügen etwas Spitzbübisches, das so viel besser zu ihr passte als der verführerische Augenaufschlag, den sie sonst an den Tag legte.
Statt eines kurzen Rocks und einer tief ausgeschnittenen Bluse trug sie einen einfachen Rollkragenpullover und Jeans. Nicht nur ihr Aussehen hatte sich verändert, sondern auch ihre Bewegungen. Ihr war anzusehen, dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte – wenn man einmal davon absah, was sie in den letzten Stunden erlebt hatte.
»Sie haben Sommersprossen.« Ein idiotischer Kommentar, aber er konnte nicht anders – die kleinen Tupfen zogen seinen Blick immer wieder auf sich.
Sie runzelte die Stirn. »Das ist nichts, womit ein gutes Make-up nicht fertigwird.«
»Schade, sie stehen Ihnen.«
Noch so eine bescheuerte Bemerkung. Großartig. Scheiß Drogen
.
Zu seinem Erstaunen wich sie seinem Blick aus, als wisse sie nicht, wie sie mit seinem Kompliment umgehen sollte. »Was ist hier los, Ryan? Warum haben diese Leute auf uns geschossen –
Ihre
Leute?«
»Sie kennen meine Antwort auf solche Fragen.«
»Machen Sie Witze? Sie wollen mich allen Ernstes mit dem üblichen Blabla abspeisen?« Seinen Tonfall nachäffend sagte sie: »Warten Sie auf das offizielle Statement, Lombardi.« Sie schnappte nach Luft, und als sie fortfuhr, war es wieder ihre eigene Stimme. »Finden Sie nicht, dass ich ein Recht habe, zu erfahren, was vor sich geht?«
»Je weniger Sie wissen, desto besser ist es.«
»Für Sie oder für mich?«
»Für uns beide.«
»Sie sind echt ein rücksichtsloser Mistkerl!«, fuhr sie ihn an. »Alles, was Sie interessiert, ist Ihre eigene Karriere. Was aus uns anderen wird, ist Ihnen egal.«
»Falls es Ihnen entgangen sein sollte, meine
Karriere
liegt gerade ein wenig auf Eis.«
Für die Dauer einiger Herzschläge schwieg sie und Chase war nicht sicher, ob sie explodieren oder sich mit seiner Weigerung abfinden würde. Statt etwas zu sagen, stand sie auf, ging zum Tisch, zog eine weitere Wasserflasche aus der Tüte und trank einen Schluck, ehe sie sich wieder ihm zuwandte. »Haben Sie eigentlich eine Ahnung, gegen wie viele Gesetze Sie heute Nacht verstoßen haben?«
»Nicht genau, aber ich habe einen Näherungswert.« Er stand auf und geriet ins Wanken. Sofort war Lombardi neben ihm, um ihn zu stützen.
»Es geht schon. Ich bin nur zu schnell aufgestanden.«
Einen Moment noch lag ihre Hand auf seiner Schulter, dann zog sie sie zurück, als hätte sie sich die Finger verbrannt. Als sich ihre Blicke trafen, schoss ihr die Röte ins Gesicht. Um ein Haar hätte er gelacht. Ausgerechnet die Frau, der das verführerische Lächeln an jedem Tatort ins Gesicht geklebt zu sein schien, ließ sich von seiner Nähe – oder wohl eher vom Anblick seines nackten Oberkörpers – in Verlegenheit bringen!
»Kann ich duschen gehen oder muss ich fürchten, dass Sie irgendwelchen Unsinn anstellen?«
»Wie wollen Sie mich von Unsinn abhalten? Mit Ihrer nicht geladenen Pistole?« Sie schüttelte den Kopf. »Von mir haben Sie nichts zu befürchten. Die Frage ist wohl eher: Kann ich Sie duschen gehen lassen oder muss ich fürchten, dass Sie mir im Bad zusammenklappen?«
»Diese Schlagzeile werde ich Ihnen nicht liefern.«
Sie biss sich auf die Lippe, trotzdem entging Chase das unterdrückte Lachen nicht – es spiegelte sich in ihren Augen wider und breitete sich wie ein Strahlen über ihre Züge aus. »Im Bad liegt etwas zum Anziehen.« Sie musterte ihn kurz, bevor sie erneut den Blick abwandte. »Ich hoffe, die Sachen passen.«
Mit dem Gefühl, dass Lombardi, die Reporterin, und die Lombardi, die jetzt mit ihm im selben Raum stand, zwei vollkommen verschiedene Menschen waren, ging er ins Bad und sperrte die Tür hinter sich ab. Die Dusche war zweitrangig. Zuerst musste er das Tattoo sehen.
Vor dem Spiegel blieb er stehen und sah sich ins Gesicht. Lombardi hatte ihn nicht nur verarztet, sondern ihm auch das Blut abgewaschen, was nichts daran änderte, dass er grauenhaft aussah. Bleich, mit dunklen Ringen
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