Dämonisches Tattoo
dass dieser Hurensohn sie erst einmal finden musste. Doch er wurde das Gefühl nicht los, dass es für seinen Gegner weniger problematisch war, die Verbindung zu nutzen, die das Ritual zwischen ihnen geschaffen hatte. Er hatte versucht, noch mehr darüber herauszufinden, doch das Internet hatte lediglich allgemeines Blabla hergegeben. Nichts davon half ihm entscheidend weiter, außer dass es ihn zu der Frage brachte, woher der Killer sein Wissen bezog, das deutlich über die online auffindbaren Informationen hinauszugehen schien.
Am liebsten hätte er Kate im Haus eingesperrt und wäre allein losgezogen. Ihm war jedoch klar, dass sie nicht dortbleiben und tatenlos auf seine Rückkehr warten würde. Sie wollte ihre Story als Augenzeugin schreiben und nicht als jemand, der die Ereignisse aus zweiter Hand übermittelt bekam. Allerdings war er sich längst nicht mehr sicher, ob es ihr tatsächlich nur um ihre Story ging, auch wenn sie das nach wie vor behauptete. Natürlich würde sie sich diese Gelegenheit um nichts in der Welt entgehen lassen, immerhin konnte sie damit ihren Job retten. Doch jedes Mal, wenn er sie ansah, fand er in ihren Augen mehr als bloßes berufliches Interesse. Da war etwas in ihrem Blick, eine Mischung aus Sorge, Entschlossenheit und noch etwas anderem – Zuneigung? –, was ihn zutiefst berührte und seine Beherrschung auf eine harte Probe stellte. Wann immer er diesen Blick auffing, hätte er sie am liebsten an sich gezogen und ihr gesagt, dass alles gut werden würde. Stattdessen gab er vor, nichts zu bemerken, und konzentrierte sich auf seine Vorbereitungen. Kate wollte weder seinen Trost noch seine Nähe. Dass sie auf Letzteres gut verzichten konnte, hatte er heute Morgen gesehen, als er sie beinahe geküsst hatte. Sie war so schnell zurückgewichen, dass es sich wie ein Schlag angefühlt hatte.
Du meine Güte, sie hat sich nicht von dir küssen lassen, das hat dein Ego verletzt.
Aber das allein war es nicht. Wäre es lediglich um einen verwehrten Kuss gegangen, hätte er es verschmerzen können. Was ihm zu schaffen machte, war die Distanz, die sie mit ihrer Zurückweisung geschaffen hatte. Als hätten ihre Worte eine Grenze gezogen, von der sie nicht wollte, dass er sie übertrat. Eine Grenze, die so gar nicht zu dem passte, was er in ihren Augen zu sehen glaubte.
Als er frisch geduscht und rasiert aus dem Bad kam, hatte Kate am Esstisch gesessen, die Bedienungsanleitung der Handys vor sich ausgebreitet, und eines der Geräte zu ihm herübergeschoben. »Auf Kurzwahltaste eins ist meine Handynummer eingespeichert. Die Dinger haben eine ›Push to Talk‹-Funktion, sodass wir sie als Walkie-Talkies benutzen können. Außerdem habe ich in der Abstellkammer das da gefunden.« Sie hob eine Stabtaschenlampe in die Höhe, groß und schwer im Vergleich zu denen, die das FBI und die Polizei benutzten. »Die Batterien sind frisch.«
Die Zeit bis zu ihrem Aufbruch verbrachten sie damit, immer wieder durchzugehen, was passieren könnte. Ein Unterfangen, so sinnlos wie ein Kühlschrank in der Arktis. Wie sollte man sich auf etwas vorbereiten, von dem man nicht wusste, was es war?
Jetzt saß Kate neben ihm auf dem Beifahrersitz, den gefalteten Stadtplan auf dem Schoß, die Taschenlampe griffbereit, damit sie nicht jedes Mal die Innenbeleuchtung einschalten musste, wenn sie etwas nachsehen wollte, und lotste ihn nach Brentwood. Die Glock steckte geladen in seinem Hüftholster am Gürtel, in einer Tasche seiner Jeans hatte er ein Ersatzmagazin, in der anderen das Handy.
Den ganzen Tag über hatte er seine volle Aufmerksamkeit auf die Vorbereitungen gelenkt und es tunlichst vermieden, über das Tattoo nachzudenken, das sich wie ein lebender Organismus über seinen Körper auszubreiten schien. Ihm war nicht entgangen, dass die Veränderung Kate ängstigte, und um ihr nicht noch mehr Anlass zur Sorge zu geben, hatte er den bitteren Geschmack der Angst hinuntergeschluckt, der sich beim Anblick der verzweigten Ranken in seinem Mund breitgemacht hatte, und vorgegeben wütend zu sein.
Nach nicht einmal drei Meilen erreichten sie Brentwood, einen der unzähligen Vororte von Washington, die alle gleich auszusehen schienen, mit ihren hübschen weißen Häusern, die meisten davon im viktorianischen Stil, den großen Gärten mit den weißen Zäunen und den Grünstreifen, die die Bürgersteige von der Straße abgrenzten. Es war sauber und still. Die Straßen waren so leer gefegt, als sei es bereits weit nach
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