Dämonisches Tattoo
den Bruchteil einer Sekunde wirkte sie beinahe traurig, dann verzog sie unwillig den Mund. »Chase, was soll das? Ich bin hier, um dir bei deinen Konzentrationsübungen zu helfen, nicht um mir seltsame Fragen stellen zu lassen, deren Sinn ich nicht verstehe.«
Er verstand sich ja selbst nicht, wie konnte er da erwarten, dass sie es tat. Er öffnete die Augen und sah sie an. »Ich habe nur versucht herauszufinden, warum du mich auf Abstand hältst.«
»Du bist derjenige, der Menschen auf Abstand hält«, gab sie zurück. »Dann sollte es dich nicht überraschen, wenn jemand deine selbst gezogenen Grenzen akzeptiert.«
»Ich halte niemanden auf …« Plötzlich begriff er, worum es hier ging. So wie es aussah, hatte sie sehr genau zugehört, als er über seine zerbrochene Ehe und seine bisherigen Beziehungen gesprochen hatte, und sichtlich legte sie es nicht darauf an, verletzt zu werden. Chase unterdrückte ein Seufzen. An jenem Abend hatte er jedes Wort so gemeint, wie er es gesagt hatte. Himmel, er meinte es doch immer noch so, oder etwa nicht? Im Prinzip schon, nur … Wenn er Kate ansah, hatte er das Gefühl, dass es mit ihr anders sein könnte. Dass
sie
anders war. »Vielleicht sollten wir das in Ruhe besprechen.«
»Gibt es denn etwas zu besprechen?«
Eine Menge.
»Nein, vermutlich nicht. Lass uns weitermachen.« Er schloss die Augen wieder und wartete darauf, dass er sich nicht länger fühlte, als hätte er sich gerade vollkommen zum Affen gemacht. Doch das Gefühl verschwand nicht, stattdessen gesellte sich Bedauern dazu. Was auch immer aus Kate und ihm hätte werden können, er hatte es versaut – und das, noch bevor es begonnen hatte. Üblicherweise war er nicht ganz so schnell, wenn es darum ging, seine Beziehungen in den Sand zu setzen.
»Du musst dich konzentrieren«, mahnte Kate.
»Das tue ich.«
»Ach ja? Warum hängen deine Arme dann nicht locker, sondern fühlen sich an wie zwei Stahlrohre? Atme! Eins. – Zwei. – Drei. Eins. – Zwei. – Drei.« Sie zählte weiter. Chase schob alle Gedanken beiseite und passte seine Atemzüge ihrem Rhythmus an. Auch wenn er es nicht für möglich gehalten hatte, schaffte sie es mit ihren ruhigen Worten, seine Rastlosigkeit zu vertreiben und ihn in einen Zustand tiefer Ruhe zu versetzen.
»Spürst du, wie der Atem durch deinen ganzen Körper fließt? Deine Beine werden schwerer, deine Gedanken treiben dahin, verschwimmen und werden schließlich eins mit dem Nichts.«
Chase konzentrierte sich nun voll und ganz auf ihre Worte und bald schon hörte er nur noch ihre Stimme, ohne zu verstehen, was sie sagte. Ihre Stimme war sein Anker, sein Ruhepol und sein Fokus zugleich. Er liebte diese sexy Stimme, die einige Nuancen dunkler war als die ihres Reporter-Ichs, und während er sich von ihr leiten ließ, blitzten plötzlich Bilder vor ihm auf. Nur vereinzelte Schlaglichter, die ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie gekommen waren. Straßenlaternen, ein roter Gartenzaun und ein Bürgersteig, große sandfarbene Betonplatten, nass vom Regen, zwischen denen das Unkraut wucherte. Chase’ Puls beschleunigte sich und um ein Haar hätte er die Verbindung verloren, dann jedoch sah er die Straße erneut vor sich. Der Killer drehte den Kopf zur Seite, dort stand eine Kirche an einer Kreuzung, ein wenig von der Straße zurückversetzt. Der Blick war auf die Kirchturmuhr gerichtet, doch die Uhrzeit interessierte Chase nicht. Er kannte diese Kirche! Er wusste, wo sie war! Seine Aufregung wuchs, die Bilder verblassten vor seinem inneren Auge und plötzlich war er sich Kates Nähe wieder bewusst. Er durfte die Verbindung nicht verlieren. Nicht jetzt! Er war so dicht dran!
Atmen!,
rief er sich ins Gedächtnis. Er lauschte dem Prasseln des Regens, das sich mit seinen eigenen Atemzügen mischte, spürte die Wärme von Kates Händen in seinen und trieb langsam wieder davon. Sein Rücken kribbelte und er glaubte beinahe zu spüren, wie sich das Tattoo weiter ausdehnte. Dann hatte er die Verbindung wieder. Der Killer bog jetzt auf ein Grundstück ein. Sein Blick fiel auf eine Hausnummer, die über dem Garagentor an die Wand gepinselt war: 327.
In diesem Augenblick riss der Killer den Kopf herum, für einen Moment blitzte die holzgetäfelte Fassade eines hellgelb gestrichenen Hauses auf, ehe sich sein Blick auf den Boden richtete. »Chase, es ist unhöflich, nicht anzuklopfen, bevor Sie in meinen Kopf dringen.«
»Es liegt mir nicht, mein Kommen mit Pauken und Trompeten
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