Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
»Was mich wirklich in den Starnberger See trieb«. Und schon müsste die bayerische Geschichte in weiten Teilen neu geschrieben werden.
Sie haben zweifelsohne etwas, diese Zeitlöcher hier im nachmittäglichen Kurpark, durch die man mal kurz von Balthasar Neumann zu Otto von Bismarck spazieren kann, oder von Franz Joseph und Sisi über die Deutsche Kaiserin Auguste Viktoria zum Namensgeber des Festes, dem wild gelockten Ungarn-Rebellen Fürst Rákoczy, der zwar nie persönlich in Kissingen war, dafür aber einer der dort sprudelnden Quellen seinen Namen gegeben hat, weshalb er sich auch in dieser Stadt der Paralleluniversen posthum materialisieren und Unterschriften geben darf – direkt vor einem Wurmloch, vor dessen anderem Ende zwei staunende Kabarettautoren stehen.
Warum, so fragen die sich, gibt es nicht auch anderswo in Bayern solche Feste, bei denen die Gesetze von Raum und Zeit außer Kraft gesetzt werden und Neues, Großes, Unerhörtes entsteht?
München, zum Beispiel, könnte doch alljährlich ein Franz-Josef-Strauß-Fest feiern. Um den dritten Oktober herum, dem Todestag des letzten schwarzen Monarchen, an dem ein täuschend echt gespielter Franz Josef all die Persönlichkeiten und Gestalten empfängt, mit denen er es in seinem bewegten Leben zu tun hatte. Manfred Schreiber würde da in einem Eck mit Augusto Pinochet, Mao Zedong und Alexander Schalck-Golodkowski Waffenquartett spielen, Pieter Willem Botha würde Uschi Glas zur Polonaise auffordern, und ein schwitzender Hendl-Jahn würde das Catering übernehmen und seinen alten Freund zu einer jedes Jahr erneuerten und allenthalben sehnsüchtig erwarteten Wienerwald-Rede animieren.
Wo Könige kurten
Das ganze Jahr über würden sich die Münchner Zeitungen in Mutmaßungen ergehen: Wer spielt dieses Jahr den Ochsensepp? Wer den Breschnew? Gibt es jemanden, der den jungen Helmut Kohl verkörpern kann? Einen Darsteller für die Hauptfigur allerdings hätten wir schon …
Zum Schluss des Festes käme dann die große Stunde eines noch zu gründenden historischen Vereins »Strauß-Beerdigung«. Der würde auf der weiß-blau beflaggten und eigens für diesen Anlass gesperrten Ludwigstraße die Gebirgsschützen, die bayerische Bereitschaftspolizei und ein historisch korrektes Pferdegespann mit dem Strauß-Katafalk an Tausenden von Zuschauern vorbeidefilieren lassen. Zu den gemessenen Tönen des Trauermarsches würde der Zug durch das Siegestor verschwinden – um nur kurze Zeit später mit einem fröhlich grüßenden FJS an der Spitze wieder zu erscheinen. In bester Bad Kissinger Wurmlochmanier würde sich die Zeit dann rückwärtsdrehen, und, mit jedem Schritt jünger werdend, würde der Vater aller bayerischen Ministerpräsidenten im Triumphzug durch die Stadt schreiten, nach Süden, auf Wildbad Kreuth zu, und über den Köpfen der jubelnden Menge würde im Tiefflug eine zweistrahlige Cessna hinwegfegen und mit dem bayerischen Kabinett an Bord und einem zweiten Strauß am Steuerknüppel Kurs auf Moskau nehmen.
Schwarzbraun ist der Dutzendteich – Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
Die Autobahn kurz vor Nürnberg: stangengerade Wälder, Bäume in Reih und Glied hingepflanzt wie dürre Soldaten in braunen Uniformen. Ein Überbleibsel forstwirtschaftlicher Vergangenheit, heute pflanzt man andere Wälder – aber wer konnte das vor einem Menschenalter schon ahnen?
Der Horizont von Forstwirtschaftlern reicht über Jahrhunderte, sagt man, der von Politikern nur bis zur nächsten Wahl.
Aber das ist vielleicht ganz gut so. Was passiert, wenn Politiker anfangen, in Dimensionen von tausend Jahren zu denken, das wollen wir uns ansehen, auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, zu dem uns jetzt unser Navigationsgerät mit ungerührter Stimme hinlotst: »Verlassen Sie jetzt die Autobahn.«
Nun ist es ja nicht so, dass wir in unserem heimatlichen München keine monumental-hässlichen Nazi-Klötze im Stadtbild hätten, aber seien wir mal ehrlich: Eigentlich ist München, was die Stadtverschandelung durch Nazi-Architektur betrifft, gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen. Wären Hitler und seine Architekten nur ein paar Jahrzehnte länger an der Macht geblieben, dann hätte die »Sonderbaubehörde Ausbau Hauptstadt der Bewegung« München architektonisch derart auf den Kopf gestellt, dass es auch ohne die Bombenteppiche des Zweiten Weltkriegs großflächig zerstört worden wäre. Da hätte man radikal kerzengerade Ost-West- und Nord-Süd-Achsen quer durch
Weitere Kostenlose Bücher