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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
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die Stadt geschlagen, hätte einen neuen Hauptbahnhof hingeklotzt, der mit seiner gigantischen Kuppel selbst den Petersdom in Rom überragt hätte, und an der von Aufmarschstraßen durchschnittenen und von protzigen Repräsentationsbauten umzingelten Theresienwiese hätte eine monströse, für 40 000 Personen ausgelegte Kongresshalle die Bavaria zur bronzenen Playmobil-Figur degradiert.
    Angesichts eines solchen baulichen Größenwahns steckt man doch ein »Haus der Deutschen Kunst« locker weg. Zumal sich der uninspirierte Gruselbau am Südrand des Englischen Gartens, einst willige Heimstatt der Ausstellung »Entartete Kunst«, eigentlich nahtlos in die event- und partyselige Nachkriegsstadt integrieren ließ – man brauchte nur das »deutsch« aus dem Namen zu streichen und aus dem ehemaligen Nazi-»Bierstüberl« eine von FC-Bayern-Stars und Facebook-geilen Ministerpräsidenten frequentierte Nobeldiskothek zu machen. Wo ist da das Problem?
    Das steinerne Monstrum aber, vor dem uns unser Navi jetzt im Nürnberger Stadtteil Langwasser anhalten lässt, spielt definitiv in einer anderen Liga. Das ist ein Haus der Kunst on Steroids , das lässt sich nicht einfach so auf die Schnelle in irgendwas integrieren.
    Als wir direkt vor der Ruine der riesigen, in ihrer elementaren Wucht an einen aztekischen Opfertempel erinnernden Zeppelintribüne aus dem Auto steigen, fragen wir uns, wie man als Kabarettist und Autor politisch korrekt mit dieser Stein gewordenen Hitlerrede umgeht. Verordnet man sich da freiwillig ein Witzverbot? Beginnt man spontan ein temporäres Satirefasten?
    Kaum hat man die Autotüren mit der Fernbedienung zuklacken lassen und sich darüber gewundert, dass es hier weder einen gebührenpflichtigen Parkplatz noch ein mit Strichcode-Tickets zu fütterndes Drehkreuz gibt, fängt im Kopf auch schon ein unsichtbarer Filmprojektor zu rattern an und spielt einem das riesige, von Lorbeer umkränzte Hakenkreuz ein, das bis 1945 über dieser Tribüne thronte. »The swastika will no longer flood its crooked arms above the Nazi shrine«, hört man eine amerikanische News-of-the-Week- Stimme sagen, gleich darauf der Lichtblitz einer Explosion, ein Knall, eine schwarze Rauchwolke, aus der, begleitet von flotter Marschmusik, die Trümmer des entsorgten NaZionalsymbols in alle Richtungen davonfliegen. Auf YouTube ist dieser Film neben unzähligen Videos von in sich zusammensackenden Schornstein-Penissen unter der Rubrik »lustige Sprengungen« zu finden, zusammen mit fachkundigen Kommentaren:

    Gebaut für 1000 Jahre, verfallen nach 80

    »i could watch this all day!«, meint ein User mit dem Pseudonym »AfricanNaziJew«.
    Und »opiumstyler« will wissen: »What was the building? Was it the top of the reichsparteitag or was it on the zeppelinfeld?« – Antwort des Videoeinstellers: »As far as I know it was Reichsparteitag!«
    Seltsam ist’s schon, nach all den Recherchen leibhaftig hier zu stehen, mitten auf diesem riesigen Areal, vor uns die Tribüne, hinter uns einen Steinwall mit 34 Türmen, an denen gelbe Schilder warnen: Betreten verboten! Steinschlaggefahr!
    Ein junges Paar hockt auf den Stufen der Tribüne, steht aber auf, als es uns kommen sieht, und auf einem Verkehrsübungsplatz im hinteren Teil des Zeppelinfelds bringt ein Fahrlehrer gerade einer zierlichen Frau bei, wie man ein großes Motorrad auf den Ständer wuchtet. Ansonsten haben wir die bedrückende Kulisse für uns allein – kein Norisring-Rennen, bei dem die Tribüne voller Zuschauer ist, kein Rock im Park-Festival, bei dem riesige Lautsprecherboxen Klänge über das Gelände peitschen, die wohl nie als Soundtrack für einen Leni-Riefenstahl-Film in Frage gekommen wären. Für das Machwerk Triumph des Willens zum Beispiel, auf dem Reichsparteitag 1934 gedreht von der Frau, die sich nach dem Krieg partout nicht mehr an ihre glühende Begeisterung für das »Dritte Reich« erinnern wollte. Ihre perfid-perfekten Bilder von damals projiziert uns der Filmprojektor in unseren Köpfen jetzt über die reale Tribüne. Gesteckt voll war sie damals mit fetten Nazi-Bonzen und uniformierten Hitlerschranzen, aber die sind nicht das wirklich Erschreckende an diesem Film. Was einem eiskalte Schauer über den Rücken jagt, ist das Strahlen auf den Gesichtern der Menschen hier unten auf dem Zeppelinfeld, die Begeisterung der ganz normalen »Volksgenossen«, die mit tränenfeuchten Augen nach oben glotzten, wo ihr von Frau Riefenstahl zum gottgleichen Übermenschen

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