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Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke

Titel: Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schleich
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doch irgendwann schon einmal gesehen: Diese Kirche wie aus dem Kinderbaukasten, den See, der aussieht wie türkis eingefärbtes Gießharz, die Plastikkuh und die Häuser, wie mit der Alpinschablone ausgestanzt …
    Natürlich! Häuschen wie diese habe ich als Kind aus vorgefertigten Plastikteilen zusammengebaut. Für die Modelleisenbahn. Und dann habe ich kleine Autos davor gestellt und vor das Wirtshaus einen Biergarten mit winzigen Plastikmasskrügen und auf die Wiesen aus grün gefärbtem Sägemehl kamen Kühe aus braunem Kunststoff. Ich kann das ganze Zeug richtig vor mir sehen, in der Abteilung »Alpenregion«, Seite 159 im FALLER-Modellbau-Katalog … Moment mal! Wie heißt dieser Katalog???
    Jetzt aber schnell weg von hier, bevor noch eine riesige Hand aus dem Himmel herabgreift, das Dorf an der Kirchturmspitze packt und einfach mitsamt See, Bergen und Alpenstraßenbrücke weghebt, weil sich darunter die Geleise eines von einer gigantischen Pressspanplatte überdachten Eisenbahntunnels befinden.

Wurmlöcher in die Vergangenheit – Bad Kissingen und das Rákoczy-Fest
    Die beiden in braune Wolldecken gewickelten Verwundeten sehen schlimm aus. Der eine hat ein dick bandagiertes Bein, das von einer primitiven Konstruktion aus Ästen in einer stabilen Hochlage gehalten wird, auf dem Kopfverband des anderen ist ein großer Blutfleck zu sehen. Neben ihnen hocken auf dem von zwei schweren Rössern gezogenen Wagen Sanitäter in seltsamen alten Rotkreuzuniformen, die sich aber nicht sonderlich um die beiden Männer zu kümmern scheinen. Sie winken lieber den fotografierenden, Bratwurstsemmeln kauenden und Softeis schlotzenden Menschen zu, die lachend auf den vorüberfahrenden Wagen deuten oder den Verwundeten – die manche von ihnen offenbar recht gut kennen – mit Bier- und Weingläsern zuprosten. Die beiden Blessierten grinsen fröhlich zurück, und der mit dem Kopfverband hebt eine Hand zum Sieges-V.

    Versehrten-Fasching 1866
    Bei wie vielen Festumzügen in Bayern, so fragt man sich, werden wohl grinsende Verwundete in blutigen Verbänden mitgeschleppt? Aber das hier ist kein gewöhnlicher Festzug, und wir sind in keiner gewöhnlichen Stadt: das hier ist das Rákoczy-Fest, und die Stadt ist Bad Kissingen. Ehemals königlich bayerisches Kurbad, heute immerhin noch eines von fünf bayerischen Staatsbädern. Berühmt für sein Heilwasser und – unter Historikern zumindest – als Schlachtort im Krieg von 1866, dem letzten, »in dem Bayern noch auf Preißn ham schiaßn derfn«, wie Thomas’ Großvater zu sagen pflegte.
    Thomas ist es auch, der auf seinem iPad Scans eines alten Buchs dabei hat, das in Frakturschrift von einem »Treffen bei Kissingen, Winkels und Nüdlingen am 10. Juli 1866« erzählt: immerhin der größten Schlacht des »Mainfeldzugs«, bei dem militärisch weit überlegene Preußen den bayerischen Soldaten eine Niederlage nach der anderen beibrachten. In Kissingen hielten die Bayern den militärisch haushoch überlegenen Invasoren gerade mal einen halben Tag lang stand, was neben über 200 Toten auf beiden Seiten auch zahlreiche Verwundete forderte. Die wurden dann in den Kurkliniken gesund gepflegt und konnten dabei nicht ahnen, dass sie irgendwann einmal fester Bestandteil eines historischen Festzugs werden würden, der sich seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts alljährlich am letzten Sonntag im Juli durch die Straßen der alten Kurstadt schiebt – als krönender Abschluss des Rákoczy-Fests. Ein Fest, das im Süden des Freistaats kaum einer kennt und das es trotzdem ebenso in sich hat wie die Stadt, in der es stattfindet.
    Das besondere Flair von Bad Kissingen haben wir schon bei unserer Ankunft gespürt, als der giftgrün lackierte Triebwagen mit der Aufschrift »Unterfrankenshuttle« beim ersten Blick auf das neoklassizistische Bahnhofsgebäude zu einem billigen Techno-Spielzeug mutierte. Welche Eisenbahnstation in Bayern hat heute noch einen Königssalon, bitte schön?
    Diese Stadt, das wird uns schnell klar, ist eine Zeitmaschine ganz anderer Art als die verträumten 80er-Jahre-Reservate der Oberpfalz. Hier sitzen Herren im Smoking in den Cafés, hier werden auf Plakaten Tanzturniere ausgeschrieben, hier atmet vieles noch den Geist eines einstmals todschicken Kurbads. Und dieser Eindruck bleibt, auch wenn wir auf dem Weg vom Bahnhof in die Innenstadt an den allgegenwärtigen Konsumstationen des Spätkapitalismus vorbeikommen. Schließlich schreiben wir das Jahr 2012, und ein

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