Dahoam is ned dahoam - Bayerische Ein- und Durchblicke
hinunter zur Donau in gleichmäßige Rechtecke, als hätte jemand den Fluss auf ein Blatt kariertes Rechenpapier gezeichnet – eine stille, aufgestaute Wasserfläche zwischen Feldern, Kirchtürmen und Schrebergärten. Nicht mehr ganz junge Besucher hocken am Tragflächenrand des Tempelplateaus und lassen die Beine über der Landschaft baumeln, während sie, frech die weißen Sicherheitslinien missachtend, eine mitgebrachte Wurstsemmel verzehren.
»Do not sit outside this line ...« – Bayerischer Hellenismus
Vorbei an dorischen Säulen, von bayerischen Steinmetzen vor 170 Jahren kanneliert, begeben wir uns zum Eingang des vom Zahn der Zeit angenagten Heiligtums und müssen dabei zwangsläufig an den ebenfalls ständig irgendwo renovierungsbedürftigen Parthenon, das Schwesterbauwerk auf der Akropolis, denken. Ebenso wie an diverse griechisch-europäische Abenteuer, angefangen vom Scheitern des bayerischen Griechenkönigs Otto bis zum herakleischen Kraftakt der Euro-Rettung, über den es vielleicht bald einen neuen Mythos von einem mit Blauäugigkeit geschlagenen Sisyphos unter dem blau-gelben Sternenbanner geben wird. Dann aber erreichen wir das Kassenhäuschen, und unsere kleine bayerische Welt hat uns wieder. Drei Euro pro Mann, ein kleines Hefterl über den Bau für zwei Euro dazu, und während man auf das Wechselgeld wartet, liest man eine fein säuberlich einlaminierte und mit der Unterschrift des Verwalters versehene Mitteilung, die von innen an der Glasscheibe pappt:
Man weise auf Grund häufiger Rückfragen darauf hin, dass »unsere Maria Theresia, die Gründerin des Ordens der Armen Schulschwestern« und Mutter Teresa »zwei verschiedene Persönlichkeiten« seien. Der allseits hoch geschätzte Engel der Armen könne als »Albanerin trotz ihrer Verdienste« niemals Eingang in König Ludwigs Ehrentempel finden, da sie als solche nicht zu den »Größen Teutscher Zunge« gehöre, für die Ludwig seine Walhalla nun mal reserviert habe. Und zwanzig Jahre tot – die zweite von Ludwigs Bedingungen für eine Aufnahme in seine Ruhmeshalle – sei sie darüber hinaus auch noch nicht.
Pech gehabt, Mutter Teresa. Dafür haben geschichtsnotorische Kriegshandwerker wie der Landsknechtsführer Georg von Frundsberg und Albrecht Wallenstein die vom König gesetzten Hürden mit ebensolcher Leichtigkeit genommen wie der Antisemit Richard Wagner und der von den Nazis posthum zum arischen Komponisten erklärte Anton Bruckner, dessen Büste 1937 sogar unter den Augen von Adolf Hitler höchstpersönlich aufgestellt wurde.
Auch wenn man zwischen den marmornen Gesichtern hin und wieder spät hinzugefügte Feigenblätter entdeckt wie den 2010 für würdig befundenen Heinrich Heine, den 1999 hinzugekommenen Albert Einstein oder die 2003 nach längeren Querelen in den erlauchten Kreis aufgenommene Sophie Scholl, beschleicht einen doch auf Schritt und Tritt das Gefühl, dass man den meisten der hier geehrten Persönlichkeiten im wirklichen Leben lieber nicht begegnet wäre.
Die drei Fragezeichen – Bismarck, Moltke, Richard Wagner
In besonderem Maße gilt das für die überproportional stark vertretenen Preußen, vom Soldatenkönig Friedrich dem Großen bis hin zu Otto von Bismarck, dem Totengräber der bayerischen Eigenstaatlichkeit, und dessen Generalstabschef Helmuth von Moltke, flankiert von den Haudegen Scharnhorst und Gneisenau sowie dem »Turnvater« Jahn, dessen Name in unserem muskulären Gedächtnis sofort Erinnerungen an schmerzhafte Begegnungen mit Reck- und Barrenstangen wachruft. Da wäre vielleicht was los, wenn die steinernen Lippen all dieser Verewigten in einer mondlosen Gewitternacht auf einmal zu schnarren begännen …
»Hätten Se sich dett träumen lassen, Majesteet«, ruft dann vielleicht Bismarck quer durch den Raum Friedrich dem Großen zu, »dass Se ausjerechnet in so ’m ollen bayerischen Panoptikum versauern müssen?«
»Hör er mir bloß damit auf, Bismarck! Mir steht det bis hier, ständich det doofe Jeplappere von Maria Theresia und dieser Katharina da mit anhören zu müssen, die se auch noch de Jroße nennen. Wat soll denn an der Frau jroß jewesen sein, bitte sehr? Und Voltaire lassen de Bayern hier nich rein, weil der nich teutscher Zunge ist, det is doch ’n Skandal.«
»Der wahre Skandal«, sagt Helmut und wechselt, während er den Kopf zwischen die Schultern zieht, abrupt die dialektale Klangfarbe, »ist doch etwas ganz anderes.« Seine Zunge schießt blitzschnell über die
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