Daisy Goodwin
Familie um sich.
Sie waren jetzt seit fünf Monaten in Lulworth, lange genug, um Heimweh zu
bekommen. Miss Cora würde es nie zugeben, aber Bertha hatte die vielen Briefe
in die Staaten gesehen, die sich in dem hölzernen Briefkasten in der Halle, der
die Form eines Schlosses hatte, stapelten. Jeden Tag um elf, um zwei und um
fünf Uhr öffnete der Butler mit seinem Messingschlüssel den Kasten und gab die
Briefe dem Schlossbriefträger. An manchen Tagen sah Bertha, dass mit jeder
Post Briefe nach Amerika gingen. Außerdem ging jeden Tag ein Brief nach Indien.
Gelegentlich schickte auch Bertha einen, aber sie hatte Jim gesagt, er solle
nicht antworten – ein Brief aus Indien würde im Dienstbotenzimmer zu viel
Aufsehen erregen. Sie wusste, dass der Butler und Mrs. Softley jeden Brief
genau untersuchten, und sie war ziemlich sicher, dass ein Brief aus Indien, der
an sie adressiert war, unter Dampf geöffnet werden würde, ehe sie ihn bekam.
Eines der Zimmermädchen war nach Weihnachten entlassen worden, weil sie einen
Brief von einem Stallburschen aus Sutton Veney bekommen hatte. Streng genommen
musste die Herzogin die Mädchen entlassen, aber Mrs. Softley hatte es nicht
für nötig befunden, die Herzogin zu konsultieren. Bertha war nicht einmal mehr
sicher, dass die Herzogin sie beschützen könnte, wenn ihr Verhältnis mit Jim
entdeckt würde.
Bertha
fragte sich, ob ihrer Herrin klar war, wie wenig Kontrolle sie in Lulworth über
den Haushalt hatte, wie die Bediensteten, die ihr in der Öffentlichkeit mit
Hochachtung begegneten, im Dienstbotenzimmer über sie lachten. Miss Cora hatte
in Lulworth nicht auf dieselbe Weise das Kommando übernommen, wie Mrs. Cash es
in Sans Souci führte. Miss Cora hatte viele Pläne, um das Haus zu verbessern: Man ches, wie die Badezimmer, war
schon erreicht, aber aus ihren Versuchen, das Haus anders zu führen – sie
hatte zu ihrem Erstaunen festgestellt, dass es einen Mann gab, der allein dafür
angestellt war, alle Uhren im Schloss aufzuziehen –, war nichts geworden. Sie
gab Anweisungen, konnte sie aber nicht durchsetzen. Eine ihrer ersten
Anweisungen war gewesen, die Fotografien von der doppelten Herzogin zu
entfernen, die es in allen Gästeschlafzimmern gab, meist in Gesellschaft des
Prinzen von Wales. Das letzte Mal, als Bertha danach gesehen hatte, waren sie
immer noch da, und die Silberrahmen blitzten. Miss Cora hatte es noch nicht bemerkt;
Bertha fragte sich, was sie tun würde, wenn sie es bemerkte. Wahrscheinlich
nichts, Coras Stimmung schien nachzulassen, je größer das Baby wurde und je
länger sich die Rückkehr des Herzogs hinauszögerte. Er hätte im frühen Februar
zurück sein sollen, aber Anfang des Monats hatte er geschrieben, dass er sich
verspäten werde. Bertha hatte gesehen, wie sich das Gesicht ihrer Herrin
verzog, als sie den Brief las, und sie hatte instinktiv nach ihrer Hand gegriffen.
Sie sah, dass Cora jemanden brauchte, der sich um sie kümmerte. Diese Monate
der Abgeschiedenheit und des Wartens hatten Bertha sehr klargemacht, wie
isoliert ihre Herrin war. Ein paar Abende zuvor hatte Cora sie gefragt, ob sie
in ihrem Bett schlafen könnte. Für den Fall, dass das Baby käme, hatte sie
gesagt, aber Bertha wusste, dass ihre Herrin nur jemanden neben sich spüren
wollte. Manchmal ging es ihr selbst genauso. Als sie gehört hatte, wie Cora im
Schlaf Ivos Namen rief, hatte Bertha, durchaus zu ihrer eigenen Überraschung,
Mitleid mit ihr gehabt.
Seit sie nach Lulworth gekommen
waren, hatte Cora fast keine Gesellschaft gehabt. Pater Oliver war einen Monat
lang da gewesen und hatte an der Geschichte gearbeitet. Mrs.
Wyndham war für eine Woche gekommen, Sybil Lytchett ebenfalls, aber sonst war
Cora in Lulworth allein gewesen, so allein, wie man nur sein konnte in einem
Haus mit einundachtzig Bediensteten. Bertha hatte sich gewundert, dass es nicht
mehr Besuche aus der Nachbarschaft gab, aber als sie das geäußert hatte, hatte
Mrs. Softley erstaunt erwidert: «Niemand wird die Herzogin besuchen, wenn sie
in anderen Umständen ist, nicht, solange der Herzog weg ist. Das wäre nicht
richtig.» Also aß Cora an fast allen Abenden alleine, und ihre Diamanten
funkelten, ohne gesehen zu werden, während sie sich durch die sechs Gänge
arbeitete, aus denen ein leichtes Dinner bestand.
Das Meer war viel kälter, als man es
bei dem warmen Wetter erwartete, aber Cora bemerkte es kaum, es war, als würde
sie von einem inneren Ofen gewärmt. Das tägliche Schwimmen
Weitere Kostenlose Bücher