Daisy Goodwin
war die einzige
Zeit am Tag, zu der sie sich von ihrer Last befreit fühlte. Schwerelos auf dem
Rücken zu treiben, in der Kälte, das war das Einzige, wonach sie sich sehnte.
Der Weg zum Strand hinunter fiel ihr mit jedem Tag schwerer, aber er war es
wert, denn dann konnte sie ihre Kleider ausziehen und Stück für Stück ins
Wasser gehen, vor Freude und Schmerz zitternd, wenn es erst gegen ihre Knöchel,
dann gegen ihre Waden und Oberschenkel schlug, bis es ihren prallen Bauch
erreichte. Wenn das Wasser auf Schulterhöhe war, atmete sie tief ein, tauchte
unter und atmete aus, sodass viele aufeinanderfolgende Blasen die Wasseroberfläche
durchbrachen. Dann ließ sie sich auf dem Rücken treiben, trat ab und zu mit
den Beinen und betrachtete die fliehende Wolke, die über der Bucht schwebte.
Manchmal drehte sie sich um, und an einem klaren Tag betrachtete sie die
kleinen braunen Fische, die zwischen den Algen hin und her
flitzten. Sie hatte bemerkt, dass das Wesen in ihrem Innern aufhörte zu treten,
wenn sie schwamm. Es war die einzige Zeit, in der sie sicher sein konnte, dass
es ruhig war. Wenn sie durch die Bucht trieb, konnte sie sich vorstellen, das
Mädchen zu sein, das sie zwei Sommer zuvor in Newport gewesen war; obwohl sie
damals von einem umständlichen Badekostüm niedergedrückt worden war, während
sie hier nackt war. Sie hatte versucht, hier mit Badekleid zu schwimmen, aber
wegen ihres dicken Bauches und der nassen Sergeröcke des Kostüms wollte sie
lieber frei von allem schwimmen. Sie hatte diesen Wunsch Sybil Lytchett
anvertraut, die zu Besuch war. Sybil hatte gelacht und gesagt: «Aber Cora,
nichts leichter als das. Sag den Dienstboten, dass die Bucht tabu ist, und du
kannst so schwimmen, wie du möchtest!» Es war Cora peinlich gewesen, Bugler
zu erklären, dass sie beim täglichen Schwimmen allein sein wollte, es war, als
würde sie um Erlaubnis fragen, statt eine Anweisung zu geben. Aber in diesem
Fall war der Butler ganz entgegenkommend gewesen und hatte zugesagt, eine rote
Flagge am Fahnenmast des Schlosses zu hissen, wenn Cora sich auf den Weg in die
Bucht machte, damit jeder wusste, dass der Zutritt zum Strand jetzt verboten
war.
Bisher war dieses Verbot eingehalten
worden; niemand aus dem Schloss hatte sich dem Strand genähert, während die
rote Flagge wehte, aber an diesem Morgen, als sie sich wie eine Robbe unter
Wasser gestürzt hatte und wieder auftauchte, sah sie jemanden den Weg zum
Strand hinunter kommen. Sie konnte denjenigen nicht deutlich erkennen, aber aus
der schwarzweißen Kleidung schloss sie, dass es Bugler sein musste. Er blieb am
Saum des Strandes stehen – ihn zu betreten wäre sträflich gewesen –, aber es
musste um etwas Dringendes gehen, wenn der Mann den weiten Weg auf sich nahm. Er rief nach Bertha.
Cora trat Wasser, sodass nur ihr Kopf zu sehen war, und beobachtete, wie die
Zofe vorsichtig über den Kies ging. Der Butler beugte sich hinunter und sprach
mit ihr, und dann sah Cora, wie die Zofe losrannte, den Strand hinunter,
winkend und rufend. Cora verstand nicht, was sie rief, aber es war deutlich,
dass Bertha sie aus dem Wasser rufen wollte. Cora schwamm langsam ans Ufer, suchte
sich einen Weg zwischen den scharfkantigen Steinchen und spürte, wie der Wind
das Salz auf ihrer Haut trocknete. Dankbar griff sie nach dem Leinentuch, das
Bertha ihr reichte.
«Was ist
los, Bertha? Ist Ivo wieder da?»
«Nein, Miss Cora, die doppelte Herzogin
kommt. Sie trifft mit dem Vormittagszug ein.» Bertha sagte es ganz sachlich.
Sie wusste, dass diese Neuigkeit nicht willkommen war.
Cora
schnappte nach Luft. «Aber ich habe sie nicht eingeladen! Sie kann doch nicht
einfach ohne Ankündigung kommen. Denkt sie, sie wäre noch immer die Hausherrin
von Lulworth?» Bertha sagte nichts und hielt Cora ihren Umhang hin. Cora zog
ihn sich über die feuchte Haut.
«Ich habe
sie nicht gesehen, seit Ivo nach Indien aufgebrochen ist, und jetzt ist sie
hier. Sie weiß natürlich, dass er auf dem Rückweg ist.» Bertha kniete sich hin
und half Cora in ihre Pantoffeln. Cora stützte sich auf sie, als sie langsam
über den steinigen Strand zurückgingen. Herzogin Fanny hatte ihr mehrfach
geschrieben, seit sie in Lulworth war, Briefe voll detaillierter Beschreibungen
ihrer Besuche bei den Sandringhams und Chatsworths und voller Ermahnungen,
dass Cora auf ihr ungeborenes Kind achtgeben solle. Cora las ihre Briefe schon
seit langem nicht mehr besonders aufmerksam: Sie hatte wirklich nicht
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