Daisy Goodwin
knapp gesagt:
«Du musst nach Lulworth, Cora, sofort. Du hast Glück, dass jetzt sowieso alle
die Stadt verlassen, sodass nicht allzu lange geredet werden wird. Einen schlechten Ruf
kannst du dir nicht leisten, jedenfalls nicht, ehe dein Sohn geboren ist.»
«Aber ich habe nichts getan, womit
ich einen schlechten Ruf verdiente!» Cora war empört.
Die Herzogin lächelte herablassend.
«Die meisten Menschen mit schlechtem Ruf verdienen ihn nicht. Mein Ruf dagegen ist nicht so schlecht, wie
er sein könnte. Hör auf meinen Rat, Cora, dann wird es keinen bleibenden Schaden
anrichten. Und guck nicht so gequält, meine Liebe. Mir macht das nicht viel
aus, aber meinem Sohn. Er war immer besorgt darum, wie die Dinge wirken.»
Cora trat einen Schritt zur Seite.
«Oje, ich sehe, da gibt es ein Problem mit den Geschenken. Ich gehe besser nachsehen.
Gute Nacht, Herzogin.»
«Denk an
meinen Rat, Cora.»
Schließlich waren alle gegangen, und Cora
konnte sich auf ihr Zimmer begeben. Sie hatte Ivo seit einer Stunde nicht gesehen,
aber sie war zu erschöpft, um ihn zu suchen. Es war an diesem Abend so viel
geschehen, dass sie gar nicht alles in ihrem Kopf unterbringen konnte. Sie
schleppte sich die Treppen zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Ivo war nicht da. Sie
schickte Bertha weg – sie wollte nicht, dass ihre Gegenwart Ivo noch mehr
verärgerte. Als sie begann sich auszukleiden, spürte sie ein leichtes Flattern
im Bauch, als wäre dort ein Schmetterling gefangen. Sie legte ihre Hand auf den
Bauch, aber durch die Schichten ihrer Unterröcke hindurch konnte sie nichts
fühlen. Ungeduldig zog sie an den Schleifen und Bändern, aber Berthas Knoten
ließen sich nicht lösen. Rasend vor Ungeduld, griff sie nach einer Nagelschere
und schnitt die Bänder durch. Nach einigem Ziehen und Winden gelang es ihr
sogar, das Korsett aufzuschnüren. Endlich hatte sie sich von allem befreit. Es
war immer noch da, dieses seltsam leichte Gefühl tief in ihrem Innern. Sie
legte sich aufs Bett und sah an die Decke. Sie
legte die Hände auf den Bauch, genau über die Leiste, und
wartete. Würde das Flattern noch einmal wiederkommen? Plötzlich spielte nichts anderes mehr eine Rolle, nicht das
Bild und auch nicht Ivo.
Sie lag da und beobachtete die Glut
des kleiner werdenden Feuers, bis das Gefühl wunderbarerweise noch einmal wiederkam. Bis jetzt hatte sie noch gar
nicht richtig an das Baby geglaubt, der Schmerz in den Brüsten
und die Müdigkeit waren ihr einfach unwillkommen gewesen. Aber dies, diese ersten Bewegungen des Babys, waren
etwas anderes – neues Leben, neue Hoffnung. Dies war das Band zwischen ihr und
Ivo. Sicher würde er dadurch freundlicher zu ihr sein.
Die Tür ging auf.
«Ivo?»
Ivo sagte nichts.
Cora versuchte fröhlich zu bleiben.
«0 Ivo, es ist ganz wunderbar. Ich habe gespürt, wie sich das Baby bewegt, es
ist so ein eigenartiges Gefühl, als würde ein kleiner Fisch in mir
herumflitzen. Jetzt merke ich es wieder. Leg deine Hand hierhin, vielleicht
spürst du es auch.»
Aber ihr Mann kam nicht zu ihr. Er
stand in der halboffenen Tür, nur eine Silhouette vor dem erleuchteten
Korridor.
«Cora, Lord Rosebery hat mich
gebeten, Prinz Eddy auf seiner Reise nach Indien zu begleiten. Die Königin und
der Prinz von
Wales möchten, dass er dort am öffentlichen Leben teilnimmt, aber Prinz Eddy ist
nach Roseberys Meinung nicht dazu in der Lage. Es gab wohl Vorfälle,
die ... Er möchte, dass ich dafür Sorge trage,
dass der Prinz die Regierung nicht in Verlegenheit bringt. Das ist ein
Vertrauensposten, und ich habe zugesagt. Ich glaube, nach dem Debakel von heute Abend ist es das Beste.»
Er machte eine Pause und rieb mit der Hand über seine Stirn. «Ich muss morgen
früh gleich nach Lulworth, um mich mit Pater Oliver zu besprechen, und dann
direkt nach Southampton. Ich schlage vor, dass du nach Lulworth fährst, sobald
du kannst. Ich bin sicher, dass Sybil oder Mrs. Wyndham mitkommen, wenn du
gerne Gesellschaft hättest. Da du über deine eigenen Mittel verfügst, habe ich
für dich keine finanziellen Vorkehrungen getroffen, aber für die Löhne und die
Unterhaltskosten für die Ländereien ist gesorgt.»
Cora setzte
sich auf und schaltete das Licht an, ihre Müdigkeit war jetzt vergessen. «Du
fährst nach Indien? Jetzt? Ich verstehe nicht.» Sie sah zu ihm auf. Er stand
immer noch in der Tür, das Gesicht dunkel und entschlossen.
«Wirklich
nicht?» Er sah sie eindringlich an, als suche er in ihrem Gesicht nach etwas.
Weitere Kostenlose Bücher