Daisy Goodwin
auf und wandte sich dem Fenster zu. Einen schrecklichen
Moment lang dachte sie, sie hätte einen Fehler gemacht. Ivo sprach fast nie
über seinen Bruder, aber sie spürte, dass er in Gedanken häufig bei ihm war.
Sie hatte ihm zeigen wollen, dass sie seinen Ver lust nachvollziehen konnte,
aber sie hatte ihn nur an seinen Kummer erinnert. Gerade wollte sie seinen
Namen sagen, als er sich umdrehte. Sein Gesicht lag im Schatten, und sie konnte
seine Haltung nicht richtig deuten, aber sein Tonfall war unmissverständlich.
«Danke, Cora, jetzt habe ich alles,
was ich möchte.»
Und er legte sich neben sie, und
endlich konnte sie seinen süßen dunklen Geruch einatmen.
KAPITEL 24
Etikette
Cora ging noch einmal die Sitzordnung
durch. Die Tischdecke aus rotem Saffianleder
mit Schlitzen für jeden Platz des Esstisches war ein Hochzeitsgeschenk von Mrs.
Wyndham gewesen. Es war das erste Mal, dass sie sie benutzte, und sie wünschte,
Mrs. Wyndham wäre selbst hier – sie wüsste, ob Lady Tavistock als Frau eines
Peers oder Sybil als Tochter eines Herzogs den höheren Rang hatte. Natürlich
wäre es Sybil egal, wo sie saß, Hauptsache in der Nähe von Reggie, aber Coras
Kritikerinnen würden sich auf jeden Fehler in der Etikette stürzen, vor allem
die doppelte Herzogin.
Der Prinz von Wales blieb nur zwei
Nächte und kam ohne die Prinzessin, aber er reiste mit zwei Stallmeistern, einem
Privatsekretär und acht Bediensteten. Cora hatte von ihrer Schwiegermutter
genaueste und verwunderliche Anweisungen bekommen, wie der königliche Besuch
bewirtet werden sollte. Hummer Thermidor war sein Lieblingsgericht, er trank
nach dem Dinner gern Brandy, keinen Portwein, und er gestattete keine
Verzögerung der Gänge. Er würde nach dem Essen Baccara spielen wollen, also
musste Cora sicherstellen, dass es genug erfahrene Spieler gab, die verstanden,
dass der Prinz immer denken sollte, er hätte aufgrund seiner Fähigkeiten
gewonnen. Dann waren da noch die Badesalze, die er bevorzugte, das kalte
Brathähnchen, das er gern auf dem Nachttisch stehen hatte, falls ihn des Nachts der Hunger überkam, und die
königliche Flagge, die auf dem Dach des Schlosses wehen musste, solange er dort
residierte.
Cora hatte sich gefreut, als der
Brief von der doppelten Herzogin kam, in dem sie schrieb, dass der Prinz
Förderer ihres Sohnes sein wollte. Ein solches Zeichen königlicher Gunst
bedeutete, dass die Louvain-Affäre ihrer gesellschaftlichen Stellung keinen
dauerhaften Schaden zugefügt hatte. Nach fast einem Jahr in der
Abgeschiedenheit von Lulworth sehnte sie sich danach, wieder in London zu sein.
Aber Ivo hatte mit den Schultern gezuckt, als er die Neuigkeiten hörte. «Es
macht mehr Mühe, als es wert ist, aber wir können es ja nicht ablehnen.»
Daraufhin verbarg Cora ihre Freude über den königlichen Besuch vor ihrem Mann,
aber ihre Mutter hatte dazu keinen Grund. Die Cashs, die ein paar Tage nach
Coras Niederkunft angekommen waren, hatten eigentlich zum Ende der Saison
wieder nach Newport reisen wollen, da Mrs. Cash es anstrengend fand, sich in
einem Haus aufzuhalten, dessen Herrin sie nicht war; aber die Aussicht, neben
dem Prinzen von Wales zu stehen, änderte alles. Mrs. Cash hatte an das Maison
Worth in Paris telegraphiert, um neue Kleider zu bestellen, und sie hatte ihre
Perlen neu aufziehen lassen.
Cora nahm die Karte zur Hand, auf
der der Name Teddy Van Der Leyden stand. Er sollte der Pate des kleinen Guy
sein. Als sie es Ivo vorgeschlagen hatte, hatte der zu ihrer Überraschung
gelächelt und gesagt: «Natürlich, er braucht einen amerikanischen Paten. Wie
ist er denn? Ich hoffe, er hat zumindest eine Eisenbahn.» Cora hatte
protestiert, dass Teddy aus einer alten New Yorker Familie kam und dass an
Eisenbahnen gar nichts verkehrt sei, aber dass er im Übrigen Künstler sei. Ivo
hatte sie prüfend angesehen und dann gelacht. «Ein amerikanischer Maler,
meine Mutter wird begeistert sein.» Sie kamen überein, dass Sybil und Reggie
beide Paten werden sollten; Cora hoffte, dass dies zu einem Antrag führen
würde, und Ivo sah darin eine willkommene Gelegenheit, die doppelte Herzogin
zu reizen. Aber als Cora Charlotte Beauchamp vorschlug, zögerte Ivo. «Glaubst
du wirklich, Charlotte hat die richtige moralische Haltung? Möchtest du nicht
lieber jemanden, der solider ist? Und was ist mit Odo?»
Aber Cora hatte nicht
lockergelassen. «Ich mag Charlotte, sie ist jedenfalls nicht langweilig.»
Ivo hatte sich abgewandt und aus
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