Daisy Goodwin
Zimmer.
Cora lehnte sich zurück und stellte
sich vor, wie ihre Mutter ungeduldig durch das Haus lief. Da sie bewusstlos
gewesen war, als der Herzog sie am Vortag nach Lulworth gebracht hatte, kannte
sie bisher nur das Schlafzimmer und hatte einen flüchtigen Blick in den
dunklen Flur erhascht. Sie vermutete, dass das Haus so war wie der Herzog
selbst: schön und gut gebaut, aber schwer zu verstehen. Sie stellte sich ein
Haus vor, das es nicht darauf anlegte, den Betrachter mit Prunk zu
beeindrucken, es hatte keinen Grund, seine Herrlichkeiten der Welt anzupreisen.
Es war ein Haus voller Geheimnisse, ein Haus, dessen dunkel getäfelte Wände
den lauten Herzschlag seiner Bewohner dämpften. Es gab in England Häuser, die
in der Landschaft standen, als wollten sie sie umarmen, aber sie hatte das
sichere Gefühl, dass Lulworth nicht dazugehörte, dass es eine Welt für sich
war.
Wenn nur Bertha hier wäre. Sie
musste das Haus selbst sehen, aber sie konnte wohl kaum im zweitbesten Nachthemd der Herzogin durch die Flure
laufen. Nicht zum ersten Mal verfluchte Cora die Vorstellungen, die ihre Mutter
von dem hatte, was sich schickte.
Vor dem Zimmer ihrer Tochter wartete
ein Diener auf Mrs. Cash, der sie zum Speisezimmer geleitete. Die breiten
Eichenbretter knarrten, als sie vorsichtig die glänzenden Stufen hinunterging.
Der Diener
öffnete die Tür zur Bibliothek.
«Mrs. Cash,
Euer Gnaden.»
Mrs. Cash fragte sich, ob sie einen
Knicks machen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatte einen dieser
milchweißen Engländer erwartet, deren jugendliche Schlankheit geradezu ein Affront
gegen die Korpulenz war, die in der Zukunft auf sie wartete, aber der Herzog
war fast dunkler, als es sich für einen
Engländer schickte, sein Haar war schwarz, und sein leicht verschleierter Blick
kam aus Augen von einem goldenen Haselnussbraun. Sein Alter konnte sie nicht
einmal schätzen. Sie wusste, dass er kaum älter als dreißig sein konnte, aber
die würdevolle Weise, auf die er ihre Hand nahm, hatte so gar nichts
Jugendliches. Zwischen seiner Nase und seinem Mund verliefen tiefe Furchen,
und seine Schläfen waren grau meliert.
«Mrs. Cash, willkommen in
Lulworth. Ich hoffe,
Ihr Aufenthalt wird angenehm, wenn es der Grund Ihres Besuches auch nicht
ist.» Seine Worte waren freundlich genug, aber weder lächelte er, noch sah er
ihr in die Augen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte sich Mrs. Cash
unbeholfen. Sie war hergekommen, um festzustellen, ob der Herzog ein geeigneter
Bewerber für ihre Tochter war, aber dieser Mann verhielt sich gar nicht wie ein
Bewerber. Vielleicht war er sich nicht darüber im Klaren, was für ein Preis
sich da in sei ner Reichweite befand. Aber nach allem, was sie von Lulworth
gesehen hatte, konnte er sich diese Gleichgültigkeit kaum leisten.
Sie
antwortete so vornehm sie konnte. «Euer Gnaden hat sich als äußerst freundlich
erwiesen, meine bedauernswerte Tochter aufzunehmen. Wer weiß, was geschehen
wäre, wenn Sie sie nicht gefunden hätten. Ein junges Mädchen, allein und
verletzt und so weit weg von zu Hause.»
Der Herzog antwortete: «Oh, ich
glaube, viel hätte ihr in einem englischen Buchenwald nicht passieren können,
und nachdem ich Ihre Tochter kennengelernt habe, glaube ich, dass sie sehr gut
in der Lage ist, auf sich selbst aufzupassen. Amerikanische Mädchen haben so viel
Temperament.»
Mrs. Cash
fand diese Worte alles andere als ermutigend. Es klang, als hätte der Herzog
ihre Tochter für mangelhaft befunden. Sie fühlte sich im Nachteil, ein gänzlich
ungewohntes und unwillkommenes Gefühl. Der Herzog führte sie ins Speisezimmer,
wo ein blasser junger Mann auf sie wartete, der, wie sich herausstellte, der
Sekretär des Herzogs war; außerdem befand sich dort, sehr zu Mrs. Cashs Überraschung,
ein Geistlicher in dunklem Ornat.
«Mrs. Cash,
darf ich Ihnen Pater Oliver vorstellen. Er schreibt an der Geschichte von
Lulworth und den Maltravers.»
Der Geistliche, dessen Gesicht
vollkommen rund und so glatt wie ein Ballon war, kam strahlend auf sie zu. «Es
ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mrs. Cash. Ihr Land ist
mir lieb und teuer. Erst letztes Jahr war ich in New York bei Mrs. Astor zu
Besuch. Was für eine unvergleichliche Frau. Diese Umgangsformen! Und ihr Geschmack!»
Mrs. Cash lächelte schwach. Sie
fragte sich, ob Pater Oliver
wusste, dass ihre Bekanntschaft mit der legendären Mrs. Astor nicht ganz so eng
war, wie es ihr lieb gewesen wäre. War
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