Daisy Goodwin
von ihr beruhigen lassen und nicht von
Meinungen erschlagen werden.»
Einen
Moment lang dachte Reggie, er wäre vielleicht zu weit gegangen, aber dann
lächelte die Herzogin und erlaubte ihm, ihr in die Kutsche zu helfen. Als er
Sybil hinaufhalf, drückte er ihre Hand und wurde mit einem kaum wahrnehmbaren
Zwinkern entlohnt.
Die Herzogin drapierte ihren Pelz um
sich herum und nickte Weld zu, der immer noch neben dem roten Teppich stand.
Dann fragte sie Reggie in ihrem vertrautesten Tonfall: «Wissen wir irgendetwas
über die Amerikanerinnen? Charlotte schrieb mir, dass das Mädchen vom Pferd
gefallen ist und dass Ivo sie bewusstlos im Paradise Wood gefunden hat. Sollte
sie denn tatsächlich einen so zweckdienlichen Unfall gehabt haben?»
Reggie verstand nun, warum Ivo ihn
angefleht hatte, an seiner Stelle zum Bahnhof zu fahren. Die Herzogin war recht
unerbittlich in ihrem Streben nach Information.
«Ich höre,
sie hat ein beträchtliches Erbe zu erwarten. Sie sind in ihrer eigenen Yacht
nach En g land gekommen. Ich glaube nicht,
dass sie die Art Mädchen ist, die sich jemandem einfach vor die Füße wirft.
Ich denke, sie würde einen sehr viel direkteren Weg wählen. Mein Eindruck ist,
dass Miss Cash für gewöhnlich bekommt, was sie haben möchte.»
«Das klingt recht ...
furchteinflößend», sagte die Herzogin, die die Erwähnung der Yacht etwas
besänftigt zu haben schien. «Was für ein Glück für
Ivo, dass Sybil und ich ihm zu Hilfe kommen. Echte Amerikanerinnen! Mein armer
Junge.» Sie rollte mit ihren schönen Augen, als hätte sie Mitleid.
«Ist Miss Cash sehr elegant?»,
fragte Sybil besorgt. «Meine Schneiderin sagt, dass die amerikanischen Damen
sie nicht für sich arbeiten lassen, weil sie ihre Kleider immer in Paris machen
lassen.»
«Was für ein Getue», sagte die
Herzogin. «Mode gibt es doch nicht nur in Paris. London ist voll von
gutgekleideten Frauen.» Sie glättete den glänzenden grauen Stoff ihres Reisekostüms
mit einer beringten Hand.
Reggie suchte nach der richtigen
Antwort. «Sie sieht wohl sehr adrett aus. Aber woher soll ich das wissen – bis
Sie kamen,
hatte ich schließlich keinen Vergleich.» Er lächelte Sybil an. Von nun an blickte die
Herzogin aus dem Fenster, und als sie durch das Tor nach Lulworth hineinfuhren,
mokierte sie sich über den Zustand des
Pförtnerhauses. Reggie hoffte, dass Ivo an der Treppe wartete, um seine Mutter
zu begrüßen.
Die Bediensteten von Lulworth
standen in Reih und Glied auf den grauen Stufen, als die Kutsche vorfuhr, die
Männer auf der linken Seite, die Frauen auf der rechten, vom Butler und der
Haushälterin bis hinunter zum Mädchen aus der Spülküche und dem Jungen, der die
Messer schliff. Nach Ivo hielt Reggie vergeblich Ausschau, aber
glücklicherweise war die Herzogin zu sehr damit beschäftigt, sich für ihre triumphale
Rückkehr herzurichten, um die Abwesenheit ihres Sohnes zu bemerken.
Als sie aus der Kutsche stieg,
sanken die weiblichen Bediensteten in ihren tiefsten Knicks,
wodurch es ein Rauschen gab, als führe ein Windstoß durch einen Haufen
Herbstblätter. Bertha, die die Szene von Coras Schlafzimmer im zweiten Stock
aus beobachtete, fragte sich, ob die Hausangestellten hier alle von selbst
wussten, auf welcher Stufe sie stehen mussten, um ein vollkommenes umgedrehtes
V zu bilden, oder ob es ihnen gesagt worden war. Setzte das Mädchen aus der
Spülküche voraus, dass ihr Platz rechts auf der untersten Stufe war, oder
hatte sie sich ein paar Stufen höher hingestellt und war dann weiter nach unten
geschickt worden? In Amerika hätte jeder um seine Position gekämpft; als Zofe
wäre ihr Platz oben gewesen, direkt unter der Haushälterin, aber das hätte die
irischen Dienstmädchen nicht davon abgehalten, sich vorzudrängeln. In England
dagegen schien jeder zu wissen, wo sein Platz war.
Sie hörte, wie sich die Tür öffnete
und Cora aufgeregt nach ihr rief.
«Bertha, ich brauche dich jetzt! Die
Herzogin ist da, ich muss mich fertig machen!»
Bertha wandte sich von dem Spektakel
vor dem Fenster ab und sah, dass es ihrer Herrin gelungen war, sich aus ihrem
Reitkostüm zu befreien; jetzt zerrte sie an den Bändern an ihrer Taille.
«Ich möchte das blaue Kleid
anziehen, das mit dem hohen Kragen. Bitte beeile dich, ich möchte nicht zu
spät zum Mittagessen erscheinen. Verdammt,
die Unterröcke sind vollkommen verdreckt. Ich werde mich roch einmal ganz
umziehen müssen.»
Bertha ging zum Schrank und nahm das
blaue Kleid
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