Daisy Goodwin
eine Geliebte genommen hatte, war vielleicht nicht zu vermeiden gewesen,
aber Amelia hätte ihm nie gestatten dürfen, so öffentlich vernarrt zu sein.
Hätte Amelia Sholtos Verliebtheit in Lady Eskdale ignoriert, wäre es
vorbeigegangen – niemand konnte Pamela Eskdale länger als eine Saison ertragen
–, aber da sie sich selbst gestattet hatte, verletzt und vorwurfsvoll zu
wirken, hatte sich die Affäre verlängert. Amelia war lästig gewesen; ihr Glück,
dass die Eskdale sogar noch lästiger und Sholto ihrer überdrüssig geworden war.
Sie musste Amelia und Sholto wirklich nach Conyers einladen. Zu einem der
größeren Feste natürlich.
Der Wagen
ruckelte und kam zum Stehen. Die Herzogin lächelte, als sie Weld, den
Stationsvorsteher, sah. So ein hübscher Mann, er war eigentlich immer ihr
Lieblingsdiener gewesen – seine Waden waren eindrucksvoll. Sie nahm sich
selten Liebhaber, die nicht ihrer gesellschaftlichen Klasse angehörten – die
Gefahr, erpresst zu werden, war zu groß –, aber Weld hatte sich als ebenso
diskret wie muskulös erwiesen. Als er angekündigt hatte, eins der Dienstmädchen
heiraten zu wollen, schien es ihr angebracht, ihn zum Stationsvorsteher der
Eisenbahn von Süd-Dorset zu ernennen. Nicht ganz uneigennützig, musste doch
der Stationsvorsteher die Bedürfnisse des Schlosses verstehen. Und Weld hatte
stets zu ihrer Zufriedenheit gearbeitet. Die Messingknöpfe an seiner Uniform
glänzten immer, und er sah sogar mit dieser Mütze gut aus (eine Schande, dass
die Uniform ebenso wie der Bahnhof dem Standard entsprechen musste).
Die Herzogin lächelte zustimmend,
als sie den roten Teppich auf dem Bahnsteig sah. Das war sicher Welds Idee
gewesen, nicht die ihres Sohnes. Es war ihr erster Besuch in Lulworth, seit sie
Buckingham geheiratet hatte, da war es nur angemessen, dass er als besonderer Anlass
galt. Die Bediensteten von Lulworth hatten sie immer verehrt. Sie gab Sybil,
ihrer Stieftochter, das Zeichen, ihr zu folgen.
«Weld, wie
herrlich alles aussieht.»
«Herzlich
willkommen, Euer Gnaden.» Weld wollte seinen schönsten Diener machen, aber sein
Kragen hinderte ihn daran. Die Herzogin lächelte, der Pelzsaum ihres braunen
Mantels schleifte über den ausgeblichenen Flor, als sie sich in Bewegung
setzte.
«Ist der Zug zu früh, Weld? Ich kann
den Herzog nirgends sehen.»
«Nein, der Zug ist pünktlich, Euer
Gnaden. Ich glaube, dort kommt gerade die Kutsche aus Lulworth.»
Die Herzogin kniff die Augen leicht
zusammen. Sie wusste, dass die späte Ankunft der Kutsche etwas besagen sollte,
und war nun nicht mehr überrascht zu sehen, dass der Mann, der ausstieg, nicht
ihr Sohn war, sondern sein Freund, der ehrenwerte Reggie Greatorex. Sie wandte
sich ihrer Stieftochter zu. «Sybil, Schätzchen, sieh nur, wie beliebt du
bist.»
Sibyls
Erröten belohnte sie. An Sybil war nichts Raffiniertes. Wäre das Mädchen die
Tochter der Herzogin, hätte sie inzwischen gelernt, nur dann zu erröten, wenn
sie es wollte; aber zu dem Zeitpunkt, zu dem Sybil in ihre Obhut gekommen war,
war es zu spät gewesen, um ihr auch nur die grundlegendsten Strategien
beizubringen. Es hatte Momente gegeben, in denen die Herzogin dachte, dass
Sybil für Ivo geeignet sein könnte, aber Ivo hatte es abgelehnt, nach Conyers
oder an den Belgrave Square zu kommen, und so hatte sich nie die Gelegenheit
geboten, die beiden zusammenzubringen. Sie musste dem Mädchen wirklich etwas
Puder geben, diese Röte bei den roten Haaren kleidete sie so gar nicht.
«Aber wo ist Ivo, Mama? Ich dachte,
er würde uns hier in Empfang nehmen.»
Glücklicherweise erreichte Reggie
sie, ehe die Herzogin sich gezwungen sah, auf Sybils taktlose Frage zu
antworten.
«Herzogin, Lady Sybil, was für ein
wunderbarer Anblick an einem so grauen Morgen. Sie müssen mir verzeihen, dass
ich an Ivos Stelle komme, aber ich habe ihn angefleht, mich fahren zu lassen.
Das Leben in Lulworth ist ohne Sie so fade. Ivo hat Ihre Gabe zu unterhalten
leider nicht geerbt. Ich konnte es einfach nicht erwarten, mich an weiblicher
Gesellschaft zu erfreuen.»
Die
Herzogin sah ihn aus ihren hellblauen Augen ungläubig an. «Aber Reggie, nach
allem, was ich höre, herrscht in Lulworth keineswegs Mangel an weiblicher
Gesellschaft.»
«Oh, Sie meinen die Amerikanerinnen.
Nun, die Mutter ist unsagbar würdevoll und die Tochter durchaus schön, aber
dabei ein so modernes Mädchen. Und erholsam sind sie beide nicht. Ich möchte in
weiblicher Gesellschaft schwelgen, mich
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