Daisy Goodwin
so lange vergraben.»
«Nun, jetzt bist du ja hier, um mich
zu unterhalten, Mutter.» Ivos Stimme klang matt.
«Und deine Amerikanerinnen,
natürlich», flötete die Herzogin. «Ich kann es kaum erwarten, sie
kennenzulernen. Charlotte sagt, dass Miss Cash wirklich ein Erlebnis ist.» Sie
machte eine kurze Pause und sagte dann leiser: «Mein lieber Junge, mir ist
klar, wie einsam du gewesen sein musst. Ich wünschte, du hättest mich in
Conyers besucht. Ich hätte alles so viel angenehmer machen können für dich.»
«Und wie geht es deinem Mann?»,
antwortete Ivo.
«Oh, Darling, es besteht keine
Notwendigkeit, so zu sein. Buckingham sagte gerade neulich, wie
sehr er sich schon auf deine Antrittsrede im Oberhaus freut. Er bewundert dich
sehr, weißt du?»
Ivo sagte
nichts.
Die Herzogin versuchte es noch
einmal. «Du hättest mir ruhig sagen können, dass Reggie hier ist. Ich hätte
wohl kaum Sybil mitgebracht, hätte ich das gewusst.»
«Ich kann mich nicht erinnern, dich
um dein Kommen gebeten zu haben, Mutter», sagte Ivo ohne besonderen Nachdruck.
Es gab eine Pause, und Cora fragte
sich, was als Nächstes passieren würde. Würde Ivo seiner Mutter von ihrer Verlobung
erzählen? Sie waren erst vor einer Stunde zurückgekommen, und doch schien die
Szene in der Kapelle schon unwirklich. Hatte Ivo ihr tatsächlich einen Antrag
gemacht, oder hatte sie sich das nur eingebildet? Gab es irgendeinen geheimen
englischen Code, den sie nicht verstand? Es war alles so seltsam – diese
plötzliche Verbindung, wie aus dem Nichts. Sie hörte Schritte in der Galerie;
sie musste nach unten gehen, oder sie würde beim Lauschen ertappt werden.
«Ich bin gekommen, weil ich dachte,
du bräuchtest mich, Darling.» Die Stimme der Herzogin klang weich, aber Ivo gab
nicht nach.
«Deine Sorge rührt mich, Mutter,
zumal ich weiß, wie sehr all deine neuen Pflichten dich in Atem halten. Ich bin
überrascht, dass Buckingham dich entbehren kann.» Er hob den Blick und sah Cora
die Treppe hinunterkommen. «Aber hier kommt ja Miss Cash. Miss Cash, bitte
treten Sie doch näher und lernen Sie meine Mutter kennen, sie möchte Sie unter
die Lupe nehmen.»
Cora sah eine blonde Frau, jünger
und schicker, als sie erwartet hatte. Dies war nicht die Witwe mit beschmutz
ten Diamanten, die sie sich vage vorgestellt hatte, sondern eine Schönheit, die
kaum alt genug wirkte, um Ivos Mutter zu sein. Erst als sie näher kam, sah sie
das Netz feiner Linien um ihre Augen und die Beschaffenheit ihrer Haut, die das
wahre Alter der Herzogin verrieten.
«Meine liebe Miss Cash, Ivo ist so
ungehobelt.» Die Stimme der Herzogin klang wie ein erregtes Gurren, wie eine
Locktaube aus Holz. «Ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass gut für Sie
gesorgt ist. So ein unglücklicher Unfall ... Ganz allein in einem fremden
Land. Ich mag gar nicht daran denken, was hätte passieren können, wenn Ivo an
dem Morgen nicht zufällig durch den Paradise Wood geritten wäre. Und nun
stecken Sie in der Junggesellenbehausung meines Sohnes fest. Sie haben mein
Mitgefühl. Ivo hat wirklich keine Ahnung von Komfort. Sein Geschmack ist
geradezu spartanisch.»
Cora stellte fest, dass sie den
Vorteil hatte, mindestens zwei Zoll größer zu sein als die Herzogin.
Normalerweise war ihre Größe ein Grund, sich gehemmt zu fühlen, aber hier war
sie froh darüber.
«Oh, Euer
Gnaden, man hätte nicht besser für mich sorgen können. Ihr Sohn ist ein
äußerst aufmerksamer Gastgeber.» Cora lächelte ihr schönstes amerikanisches
Lächeln, und ihr Blick wanderte zu Ivo.
Die Herzogin betrachtete sie
reiflich. Das Mädchen war in jedem Fall vorzeigbar. Groß, mit braunem Haar und
weit auseinanderstehenden Augen, hatte sie die Haltung und den Hals, um die
Mode der Saison zu tragen. Manche Mädchen sahen in diesen enormen Ärmeln
mickrig aus. Reggie hatte recht, sie war es gewöhnt, ihren Willen zu bekommen.
Ihr entging nicht, wie das Mädchen ihren Sohn anblickte. Sie lächelten sich an;
es war ein Lächeln, das von Vertrautheit zeugte. Die Herzogin fragte sich, ob
ihrem Sohn klar war, was für eine Art Mädchen sie war. Alle Mädchen, die sie
ihm vor die Nase gesetzt hatte, hatten die Regeln gekannt, waren von Geburt an
in die Rituale ihrer Welt eingeführt worden. Aber dieses Mädchen kam aus einer
gänzlich anderen Welt.
«Und Ihre Mutter ist wohl auch hier?
Was für ein Glück, dass sie zu Ihnen kommen konnte. Aber natürlich wusste sie,
wie alle Mütter, dass ihr Platz in
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