Daisy Goodwin
Standpunkt. Nur Bertha sagte nichts. Das war nicht ungewöhnlich.
Als einzige farbige höhere Bedienstete war sie in einer merkwürdigen Position;
niemand würde sie direkt nach ihrer Meinung fragen, aber als Coras Zofe war sie
in all das eingeweiht, was die anderen unbedingt wissen wollten. Wenn Bertha
schwieg, dann keineswegs nur aus Loyalität Cora gegenüber, sie nahm den Trubel
um sich herum schlicht nicht wahr. Immer wieder lief die Szene vor ihrem
inneren Auge ab, die sich vorgestern beim New Yorker Zoll abgespielt hatte.
Cora hatte den Herzog und seine Begleitung im Hafen in Empfang nehmen wollen
und hatte Bertha mitgenommen. Mrs. Cash hielt diesen Ausflug für unziemlich,
aber es war ihr nicht gelungen, ihre Tochter davon abzubringen. Es war kalt
gewesen in der Zollhalle, und Bertha hätte gern auch eine Pelzstola und einen
Muff gehabt, wie ihre Herrin. Schließlich hatten sie die herzogliche Gesellschaft
am hinteren Ende der Halle sehen können (die Berengaria ließ ihre Passagiere
dem Rang nach von Bord gehen). Cora hatte aufgeregt aufgeschrien und war auf
den hochgewachsenen Herzog zugelaufen. Bertha wusste, sie hätte sie davon
abhalten sollen, aber sie war erstarrt, weil sie etwas abseits von der Gruppe
einen Mann mit einem Koffer entdeckt hatte, dessen Größe und blondes Haar sie
an Jim erinnerten. Er hatte auch denselben katzenhaften Gang – und dann kam
der Mann näher. Es war Jim. Er war hier und lächelte sie an. Sie wollte auf
ihn zulaufen, wie Cora es gemacht hatte, aber natürlich musste sie genügsam
hinter ihrer Herrin stehen bleiben. Sie hob eine Hand, um zu grüßen, das war alles, was sie tun konnte.
Jim zwinkerte ihr zu. Niemand bemerkte diesen Austausch, da jeder Cora ansah,
die den Herzog begrüßte. Es blitzte, und in der feuchten Luft der Zollhalle war
der scharfe, trockene Geruch von Magnesium wahrzunehmen. Der Fotograf des Herald, der geschickt worden war, um alle Schiffe abzulichten, die aus Europa kamen,
hatte das Bild seiner Laufbahn geschossen: Miss Cora Cash, strahlend, in Pelz,
mit ausgebreiteten Armen, und der Herzog von Wareham, der die Arme hob, als
wolle er einen Schlag abwehren. Natürlich hatte die Kamera ihm einen Streich
gespielt; der Herzog hatte Cora durchaus umarmen wollen, aber die Kamera hatte
nur die abwehrenden Arme und den überraschten Gesichtsausdruck des Herzogs
eingefangen.
Zu Berthas Erleichterung war ihr
eigenes Gesicht in der Zeitung hinter Coras Pelzen verborgen. Nur die erhobene
Hand mit dem Handschuh war in einer Ecke zu sehen.
Nachdem sich der Aufruhr in der
Zollhalle gelegt hatte, nahm Cora den Arm des Herzogs und führte ihn zu ihrer
Kutsche, und die doppelte Herzogin, Reggie und Sybil folgten ihnen. Bertha
blieb zurück, um das Ausladen des Gepäcks zu beaufsichtigen. Cora würde sie in
den nächsten Stunden nicht vermissen, das wusste sie, und sie hatte Jim so viel
zu sagen. Er fand sie und nahm ihr Handgelenk. Aber sie wich zurück, sich der
Tatsache, dass es um sie herum viele Zeugen gab, nur allzu bewusst.
«Freust du
dich, mich zu sehen?»
Bertha
nickte, sie fand keine Worte, um ihre Gefühle zu beschreiben. Stattdessen sagte
sie: «Wie bist du hergekommen?»
«Der Herzog brauchte einen Diener,
und als ich das hörte, habe ich meinen Griesgram von Herrn sofort ver lassen
und ihn gefragt, ob er mich nehmen würde. Ich hab ihm gesagt, dass ich schon
immer nach Amerika wollte. Natürlich wusste er nicht, warum.» Er sah Bertha an
und sie wusste, er wollte sie küssen, aber sie blieb auf Distanz. Seine
Anwesenheit überwältigte sie. Was hatte das wohl zu bedeuten?
«Stellte sich raus, dass sein alter
Diener seekrank wird und die Überfahrt nicht machen wollte, also hat er mich genommen»,
fuhr Jim fort. «O Bertha, du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich durch
die Tür da gekommen bin. Du hast den Mund so weit aufgerissen.» Er lächelte sie
fröhlich an. Aber Bertha konnte noch nicht lächeln. Sie verstand das alles noch
nicht ganz.
«Ich kann
gar nicht glauben, dass du hier bist.»
«Hast du
meinen Brief nicht bekommen?»
«Ja, doch, ich habe ihn hier,
zusammen mit der Perle.» Sie legte die Hand auf das Mieder ihres Kleides. «Aber
du hast nicht geschrieben, dass du herkommst.» Sie war fast ein bisschen
ärgerlich auf ihn, weil er sie nicht vorgewarnt hatte.
«Es wurde alles erst in letzter
Minute beschlossen. Ich hatte vor, dir noch schnell zu schreiben, aber dann
wollte ich dich lieber überraschen.» Jim legte seine Hand
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