Daisy Goodwin
dass der Captain mit seinen guten Manieren, dem
prächtigen Schnurrbart und der adeligen Familie (sein Vater war ein irischer
Baron) ihren amerikanischen Verehrern weit überlegen war, und hatte seinen
Antrag nur zu gern angenommen. Sie wusste, er hatte gehofft, dass sie reich
war, aber er hatte die Verlobung nicht gelöst, als ihm klarwurde, wie
bescheiden ihr Vermögen war.
Sie waren in den zehn Jahren, die
ihre Ehe währte, sehr glücklich gewesen. Dann aber wollte der Captain ein Hindernis
zu schnell nehmen und brach sich das Genick. Er hinterließ seiner Witwe einen
Sohn und eine kleine Rente, die sie kaum würde ernähren können. Aber
glücklicherweise hatte ihr Vater ihr eine Familie aus Philadelphia geschickt,
die in seinem Hotel abstieg und neugierig auf seine adelige Tochter war. Das
älteste Mädchen war eine Schön heit gewesen, Gott sei Dank eine stille, und
extrem reich, und Mrs. Wyndham hatte sie Lord Castlerosse, einem alten Freund
ihres Mannes, vorgestellt. Die Ehe erregte in den amerikanischen Zeitungen
große Aufmerksamkeit, und bald war Mrs. Wyndham jemand, dem unbedingt ein Besuch
abgestattet werden musste, wenn eine amerikanische Schönheit ihre große Reise
machte – irgendwann zwischen dem Maison Worth und dem Konzerthaus.
Zunächst
hatte sie kein Geld dafür genommen und sich stattdessen darauf verlassen, Geschenke von den dankbaren Hutmachern, Juwelieren und Schneidern zu bekommen, zu
denen sie ihre amerikanischen Freunde schickte. Aber nach einer Weile wurde ihr
klar, dass ihre Skrupel ganz unnötig waren. Die amerikanischen Familien, die
sie der guten Gesellschaft vorstellte, waren froh, sie bezahlen zu können;
tatsächlich zogen die Väter einen solchen Handel einem unsichtbaren Netz aus
Verpflichtungen und Gefälligkeiten sogar vor. Und sie lernte bald, dass ihre
neuen Freunde ihre Dienste desto höher zu schätzen wussten, je höher ihr Preis
war. Mrs. Wyndham hatte Geschmack und Fingerspitzengefühl, und sie wusste, wie
sie ihre Mädchen, und bei nicht wenigen Gelegenheiten auch deren Mütter, dazu
bekam, so schön wie möglich auszusehen. Amerikanerinnen waren insgesamt sehr
viel modebewusster als ihre englischen Altersgenossinnen, aber das musste
nicht noch extra betont werden. Dass viele ihrer jungen Schützlinge Zobel und
Diamantendiademe besaßen, hieß nicht, dass sie diese auch tragen sollten.
Diese Dinge überließ man lieber den verheirateten Damen, aber selbst diese
sollten Diamanten nicht unbedingt tagsüber tragen.
Als Mrs. Wyndham damals nach London
kam, war sie genauso verwirrt gewesen wie ihre Protegés jetzt, aber da sie
jedes Mal mit wissenden Blicken und hochgezogenen Augenbrauen gestraft worden
war, wenn sie etwas tat, das für amerikanisch gehalten wurde, waren ihre
Manieren inzwischen englischer als die der mürrischsten Witwe. Nach fünfzehn
Jahren in London kannte sie jeden, und ihre Kenntnis der adeligen Stammbäume
suchte ihresgleichen. Sie konnte mit Sachverstand über die roten Haare der
Spencers oder das Percy-Kinn oder den Wahnsinn der Londonderrys sprechen, und
sie hatte vor langer Zeit gelernt, sich nie dazu zu äußern, wem das Baby
ähnlich sah, wenn sie nach einer adeligen Geburt ihren Besuch abstattete. Mrs.
Wyndham wusste bis auf den Sovereign genau, wie hoch die Mitgift jedes jungen
Mädchens und das Einkommen eines jeden Mannes war. Ihr Netzwerk aus Zofen, Köchen
und Butlern, die sie vorzuschlagen pflegte, versorgte sie stets mit den
Informationen, die sie für ihre Freunde so unbezahlbar machten. Sie kannte
immer die neuesten Gerüchte, oft ehe die Betroffenen selbst davon hörten. Und
bei den Bällen der Gesellschaft war sie wahrscheinlich die einzige Person, die
sagen konnte, welche Steine echt waren und welche nicht.
Die Cashs waren zu ihr gekommen,
weil Mrs. Cash Zutritt zu den ausgesuchtesten Kreisen wünschte. Als Mrs. Cash
von ihrer Freundschaft mit dem Prinzen von Wales hörte, hatte sie angedeutet,
dass Cora doch vorgestellt werden könnte, aber Mrs. Wyndham hatte es abgelehnt,
sie zu verstehen. Schließlich hatte sie sich über Mrs. Cashs Hartnäckigkeit so
geärgert, dass sie ihr sagte, sie könnte ihrer Tochter so gut wie jeden Mann
der britischen Aristokratie kaufen, nur keinen Prinzen. Dafür würde sie sich
schon auf den Kontinent begeben müssen – in Europa gab es massenweise Prinzen.
Als Mrs. Wyndham vor der
neoklassizistischen Fassade von Bridgewater House vorfuhr, läuteten die Glocken
von St. James elf Mal. Es war
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