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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Schatten auf. Sie schreckt zurück, als er plötzlich vor ihr steht. Er ist da, er hat sich also nicht davongemacht …
    »War er gut?«, fragt sie, als sie aufschließt. So freundlich, wie sie kann.
    »Ja«, sagt er abweisend. (Das ist ja selbstverständlich …)
    »Der, in dem ich war, war auch ganz gut.«
    Darauf antwortet er nicht. Eine Portion Schweigen kann so niederschmetternd sein wie die laute Forderung, dass gewisse Personen die Klappe zu halten haben.
    Er pflegt Mittwochnacht bei ihr zu bleiben, aber als er die Lederjacke auszieht und auf einen Stuhl wirft, fragt sie sich, ob er das auch heute will. Aber jetzt hat sie genug von dem schlechten Gewissen. Was geschehen ist, ist geschehen, darüber braucht man nicht mehr zu reden.
    Sie schlafen trotzdem miteinander, mögen sich noch.
    Als er zu ihr kommt und die Lampe löscht, ist sie bereit. Es wäre falsch, aus dem Kinoabend so ein Problem zu machen, dass sie sich zurückhalten, jeder in seiner Bettecke liegt, hinaus in die Dunkelheit starrt und sich fragen würde, wer als Erster das Schweigen bricht. Nein, so dumm sind sie Gott sei Dank nicht, und sie öffnet sich und hält ihn umfangen.
    Erst als alles zu spät ist, erkennt sie, dass er kein Gummi benutzt hat. Sie fühlt ihn in sich und erstarrt, die Schenkelmuskeln hart, als ob sie einen Krampf hätte. Als er von ihr rollt, liegt sie ganz still und hat solche Angst hat, dass ihr Herz hämmert, als wollte es eine Tür einschlagen.
    Hat er es vergessen? Nein, so etwas vergisst man nicht. Aber warum …
    Sie denkt einen Gedanken, den sie nicht zulassen will. Aber er ist da, klar und deutlich, unmöglich aufzuhalten.
    Will er sich rächen? Ihr etwas heimzahlen?
    Das kann nicht möglich sein. Und bestimmt wird sie nicht schwanger. Dieses eine Mal ohne Schutz. Sie wird ja nicht immer nur Pech haben.
    Es kann nichts passiert sein, weil nichts passiert sein darf. So einfach ist das.
    Am 18. Mai geht sie ins Sprechzimmer des Fabrikarztes, und eine Woche später sitzt sie wieder dort und wartet auf die Bestätigung dessen, was sie bereits weiß. Was sie sich aber dennoch zu glauben weigert.
    Als sie zu ihm hereinkommt, sitzt der Arzt da und pult mit einem Zahnstocher in der Nase. Er ist alt und Kettenraucher. Der Aschenbecher ist voller Zigarettenstummel, auf dem Rezeptblock liegen graue Ascheflocken.
    »Sie sind schwanger«, sagt er, bevor sie auch nur guten Tag sagen kann oder sich wenigstens gesetzt hat.
    »Nein«, sagt sie.
    Er sieht sie an. »Doch«, sagt er. »Im Januar 1961 werden Sie ein Kind bekommen. Ich tippe auf Ende des Monats. Vielleicht Anfang Februar.«
    »Das kann nicht wahr sein«, sagt sie und merkt, dass sie zittert.
    Er wirft einen Blick auf die Patientenkarte. »Eivor Maria«, sagt er. »Wenn Sie nachdenken, so wissen Sie sicher, dass es stimmt. Oder?«
    Nachdem sie das Sprechzimmer verlassen hat, geht sie geradewegs zu Tempo und kauft neuen Nagellack, ein Paar Handschuhe und eine Zahnbürste. Sie ist vollkommen ruhig, und sie weiß, dass sie nicht schwanger ist. Sollten sie und Jacob … Natürlich nicht.
    Sie geht nach Hause. Es nieselt. Bald ist es Sommer, baldist Urlaub, bald wird alles besser! Vor allem ist es lange hin bis zum nächsten Winter.
    Vor der Tür auf der Matte liegt ein Brief. Vermutlich hat Elna geschrieben. Wer sonst? Das kann warten, zuerst braucht sie einen Kaffee.
    Wenn man schwanger ist, soll es einem angeblich schlecht gehen. Aber ihr geht es ganz ausgezeichnet.
    Sie setzt sich mit der Kaffeetasse und dreht das Kuvert um.
    Es ist von Algots.
    Sie kann am 10. Juni anfangen, und ihr stehen volle Betriebsferien zu.
    Sie hat es also geschafft! Algots! Kann das sein? Wieder einen Schritt weiter …
    Wer behauptet, dass sie es nicht auf eigene Faust schafft?
    Für wenige Augenblicke ist das Glück vollkommen. Aber als Jacob in der Tür steht und sagt, dass er eine Vespa geliehen hat, beginnt sie zu weinen.
    »Es ist nicht dasselbe wie ein Auto«, sagt er verwundert. »Das weiß ich auch. Aber dass das ein Grund ist zum Weinen …«
    »Ich bin schwanger«, sagt sie.
    »Hör auf«, sagt er. »Natürlich bist du das nicht.«
    Aber es gibt keine Abendtour mit der Vespa. Die steht draußen, rot und verlassen, während zwei bestürzte Menschen dasitzen und einander anstarren.
    Für Jacob Halvarsson, den tüchtigen Verkäufer in Valles Sportgeschäft, ist die Situation eigentlich ganz einfach. Er begreift absolut nichts. Er hört, was Eivor sagt, er sieht, dass sie weint, aber er

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