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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Haarnadelkurven den Lavaberg hinauf. Sie fährt an Bananenplantagen vorüber, der Weg schlängeltsich den Wolken entgegen. Die Vegetation verändert rasch ihren Charakter, jetzt stehen überall die Eukalyptusbäume, und viele kleine Bäche rinnen von den Klippen. Obwohl es nur vierzehn Kilometer von Funchal bis zur Bergspitze Eira do Serrado sind, braucht sie fast eine Stunde. Sie parkt das Auto und steigt aus. Die Luft in dieser Höhe ist frisch und klar, und sie hat eine atemberaubende Aussicht, wohin sie sich auch wendet. Aber ihre Blicke suchen nach dem Tal, das wahrscheinlich tief unter ihr liegt, Nunnornas dal , Curral de Freiras. Diesen versteckten Platz will sie sehen, und mit einem Fuß auf dem Bremspedal beginnt sie die Fahrt bergab. Hier hinunter flüchteten die Nonnen, als Unheil über die Insel hereinbrach, denkt sie. Hierher konnten ihnen die unbarmherzigen Soldaten, Mörder und Gewalttäter nicht folgen. Als sie ins Tal kommt und in das kleine Dorf einbiegt, ist die Sonne verschwunden, und ein zerrissener Nebel schwebt über den niedrigen grauen Steinhäusern, den mageren Ziegen und den wenigen Menschen, die an der Dorfstraße zu sehen sind. Sie steigt aus, und als sie zu dem Berg hinaufschaut, auf dessen Spitze sie eben noch gestanden hat, ist es, als ob sie sich tief in der Unterwelt befände. Eine eigentümliche Stille ruht über dem Dorf. Eine Katze streicht um ihre Beine, und sie erinnert sich plötzlich an die Katze des alten Anders … Sie streift planlos im Dorf umher. Niemand spricht sie an, niemand scheint Notiz von ihr zu nehmen. Sie geht zu der kleinen weißen Kirche und stößt die schwere Holztür auf. In der Kirche ist es düster und feucht, und als die Augen sich an das Dunkel gewöhnt haben, sieht sie, dass es von der undichten Decke tropft. Die Kirchenbänke sind verrottet, vor dem Kruzifix steht eine große Pfütze.
    Sie müssen arm sein hier, denkt sie. Sonst würden sie wohl kaum ihre Kirche verfallen lassen.
    Sie geht wieder hinaus und setzt sich auf eine niedrigeMauer, die rund um die Kirche verläuft. Auf dem Weg sieht sie ein paar stille Frauen mit Reisigbündeln auf dem Rücken, von ihren Kleinkindern gefolgt.
    Das Tal der Frauen, denkt sie. Frauen, die sich verstecken, Frauen, die Lasten tragen, Frauen, die Kleinkinder hüten. Wo sind die Männer? Sie schaut sich um, aber sie sieht nur einen alten Mann, der sich am Stock vorwärtsschleppt. Wie gern würde sie mit den Frauen reden, die auf dem Weg vorübergehen, von den Hängen herunterkommen, nachdem sie Reisig für ihre Feuerstellen gesammelt haben. Fragen, wie sie leben …
    Als sie sich gerade wieder in ihr Auto setzen will, hört sie ein Kind schreien. Sie dreht sich um und sieht ein barfüßiges kleines Mädchen, das hingefallen ist und sich ein Knie aufgeschlagen hat. Ohne zu zögern, holt sie ein Pflaster aus ihrer Handtasche und geht zu dem Kind hinüber. Vorsichtig streicht sie den Schmutz fort und klebt den Pflasterstreifen auf die Wunde. Das Mädchen hat aufgehört zu schreien und sieht sie mit großen Augen an. Als Eivor sich aufrichtet, merkt sie plötzlich, dass sie von den schwarz gekleideten, stillen Frauen umringt ist. Aber sie lächeln und nicken.
    Eivor lächelt und nickt ebenfalls, und als sie schließlich davonfährt, winken ihr die schwarz gekleideten Frauen nach.
    Sie kehrt nach Funchal zurück und gibt das Auto ab. Als sie bezahlt, hat sie das Gefühl, dass dies ihr eigener Ausflug war.
    Es wird Nachmittag, ohne dass Lasse Nyman sich zeigt. Sie hat keine Lust, wieder an seine Tür zu klopfen, und fragt sich plötzlich, warum sie am Hotelschwimmbad sitzt und auf ihn wartet. Sie geht hinunter ins Zentrum von Funchal und probiert ein Kleid an, das sie am Tag zuvor dort gesehen hat. Es ist lila und hat eine weiße Borte am Halsausschnitt. Es gefällt ihr, und sie kauft es.
    Um fünf Uhr ist sie zurück im Hotel, setzt sich ins Straßencafé und trinkt etwas. An einem Tisch in der Nähe sitzt ein Mann in ihrem Alter und raucht. Er schaut zu ihr hinüber, lächelt und fragt auf Englisch mit stark portugiesischem Akzent, ob sie aus London komme. Sie schüttelt den Kopf und sagt: »No.« »Scandinavia?«, fragt er darauf, und sie nickt. Er fragt, ob ihr Madeira gefalle, wie lange sie schon hier sei und wie lange sie bleiben werde. Eivor antwortet, so gut sie kann, in ihrem elenden Englisch. Der Mann ist höflich und freundlich und macht keine Anstalten, an ihren Tisch zu kommen. Er raucht nur seine Zigarette

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