Daisy Sisters
seinen plötzlichen Umschwüngen folgen könnte! Aber jetzt, nachdem er mit sich selbst ausgesöhnt zu sein scheint (wenn die Reise allein dafür gut war, ist sie schon zufrieden!), ist er ein Begleiter, wie sie ihn sich gewünscht hat.
Der letzte Abend. Sie haben im selben Restaurant wie am Ankunftstag gegessen und viel Wein getrunken.
Eivor merkt, dass sie beschwipst ist, aber es ist eine behagliche Trunkenheit. Lasse Nyman hat sie mit wilden Geschichten aus seinem Gefängnisleben unterhalten, hat Mitgefangene geschildert, die in seinen Erzählungen als völlig unwirkliche Originale erscheinen. Er hat auch auf ihre Frage nach seinen Raubzügen geantwortet, er hat sich nicht entzogen. Als er von zwei Betrügern berichtet, deren höchster Wunsch es war, in den Besitz eines Baggers zu gelangen, kann sie nicht anders, als ihn gern zu haben. Wenn er so ist wie jetzt, ohne Brutalität, ohne Pillenschachteln …
Darum hebt sich auch kein warnender Zeigefinger in ihr, als er vorschlägt, noch einen Drink auf seinem Balkon zu nehmen. Es ist ja der letzte Abend, am Nachmittag des nächsten Tages fahren sie nach Hause, wo die Winterkälte, wie sie von Reisenden aus Schweden hören, rechtzeitig zu Neujahr zugeschlagen hat.
Neujahr! Sie werden ja am Neujahrstag zu Hause ankommen,und Eivor hat beschlossen, nach Borås zu fahren. Jacob soll sagen, was er will, aber wenn sie eine Woche im Ausland war, dann kann er sie kaum daran hindern, ihre Kinder früher als abgemacht zu besuchen.
»Was wirst du im neuen Jahr machen?«, fragt sie, als sie auf seinem Balkon sitzen und auf das schwarze Meer hinausblicken, wo im Licht des Leuchtturms von Funchal hier und da Schaumkronen aufblitzen.
»Ich werde wohl nach Stockholm fliegen«, sagt er. »Ich nehme den erstbesten Flug. Das klappt schon irgendwie.«
Als er den Stuhl an ihre Seite rückt und ihre Hand nimmt, zieht sie sie nicht zurück. Wie lange ist es her, dass ein Mann ihre Hand gehalten hat? Viel zu lange … Was vor sechzehn Jahre passierte, ist plötzlich so weit weg, hier auf dem Balkon in Madeira, und die Schläge auf der Treppe, der blaue Fleck … Nein, es ist ihr scheißegal!
Erst als er aufsteht und sie zum Bett führen will, stockt sie. »Ich will nicht schwanger werden«, sagt sie.
»Habe ich dir das nicht gesagt?«, fragt er und sieht verwundert aus.
»Was gesagt?«
»Dass ich keine Kinder zeugen kann. Auch da stimmt etwas nicht. Die Hormone.«
Natürlich wird es keine besonders gelungene Angelegenheit. Viel zu viel Wein, umhertastende Unsicherheit … Aber als sie still daliegt und er dicht neben ihr eingeschlafen ist, da ist es doch ein ganz angenehmes Gefühl.
Trotzdem will sie nicht in seinem Bett aufwachen, darum steht sie vorsichtig auf, zieht die notwendigsten Kleidungsstücke an, nimmt den Rest in die Hand und geht über den Korridor zu ihrem eigenen Zimmer. Auf dem Weg dorthin hört sie fremde Stimmen, jemand grölt Evert Taube …
Man weiß so wenig über sich selbst, denkt sie verschwommen,ehe sie einschläft. Auch etwas, was man für unmöglich hält, geschieht … Aber vielleicht hält man es nur so aus … Weil das Unerwartete trotz allem eintrifft … Sie zieht die dünne Decke zum Kinn hoch, schließt die Augen und schläft noch einmal beim Rauschen des Meeres ein.
Das Flugzeug setzt hart auf der Landebahn auf, rechts und links liegt dicker Schnee, und sie sehen, wie der Atem vor den Mündern der Männer steht, die dem Flugzeug entgegenkommen, als es eingeschert ist.
»Pfui Teufel«, sagt Lasse Nyman.
Eivor hat es eilig, zu ihren Kindern zu kommen. Sie und Lasse Nyman haben verabredet, Kontakt zueinander zu halten. Er hat offensichtlich verstanden, dass das, was am Abend zuvor geschehen ist, nur eine Ausnahme war.
»Bitterkalt«, sagt er, als sie in der Schlange an der Passkontrolle stehen.
»Brrr, ja.«
Und das war’s.
Viel später kommt ihr manchmal der Gedanke, dass er eine Vorahnung hatte. Sie ist ja nicht der Mensch, der ungewöhnliche Details wahrnimmt, die signalisieren, dass etwas geschehen wird. Aber im Nachhinein fragt sie sich doch, ob er nicht absichtlich einen kaum wahrnehmbaren Abstand zwischen sie und sich selbst gelegt hat. Einen Abstand, der seine Bedeutung erst im Licht dessen bekommt, was geschah, als sie geduldig am Rollband auf ihre Koffer wartete. Sie sieht seinen Rücken, als von drei Seiten drei Männer auf ihn zugehen und sich vor und neben ihn stellen.
Dann geht es so schnell, dass sie niemals sicher
Weitere Kostenlose Bücher