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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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sie wird ihn wiedersehen. Er wird wieder in ihrer Tür stehen, und diesmal wird es keine sechzehn Jahre dauern. Sie sitzt da und schaut über die Winterlandschaft und die verlassenen Bahnhöfe, auf denen der Zug widerwillig hält in der Hoffnung, dass jemand zusteigt, und sie denkt, sie wird ihn kameradschaftlich empfangen.
    Lasse Nyman ist ihr sehr nahe während dieses eisigen Januars, als sie mit nervöser Beharrlichkeit den Kampf um den neuen Lebensweg aufnimmt. Jacob hat sich ebenso unverständig wie abweisend gezeigt, als sie ihm erzählt hat, dass sie anfangen wird zu studieren. (Sie tut das, als sie die Kinder zum neuen Jahr abholt, sie nutzt die Überlegenheit aus, die entsteht, als er verblüfft ihr sonnengebräuntes Gesicht sieht und versteht, dass sie wirklich fort war. Die Ansichtskarte ist sicher noch nicht angekommen, bevor sie zurück war …)
    »Warum?«, fragt er. »Du musst doch ein Ziel haben.«
    »Zunächst möchte ich die Möglichkeit haben, mir überhaupt ein Ziel setzen zu können«, antwortet sie.
    Er fragt irritiert nach, und sie antwortet. Sie denkt, seine Irritation muss wohl die Reaktion sein, von der KatarinaFransman berichtet hat: die Angst der Männer, wenn die Frauen ihre Schürzen abnehmen und die Freiheit suchen. Die Reaktion von Elna und Erik ist womöglich noch abweisender, denn das Einzige, was sie zur Antwort bekommt, ist eine rätselhafte Ansichtskarte – von der Eternitfabrik! Darauf Viel Glück als einziger Text. Eines Abends ruft Eivor Elna in Lomma an, und es gelingt ihr das Kunststück, ihre Studien überhaupt nicht zu erwähnen! Am schwierigsten ist es jedoch, sich mit den Kindern zu unterhalten. Dass »Mama Schulbücher liest«, ist etwas, was sie nur schwer begreifen. Das hat sie doch schon damals gemacht, als sie klein war, bevor es sie gab. Sie sind gleichzeitig neugierig und ängstlich, und Eivor muss gegen das Gefühl ankämpfen, dass ihre Studien ein lächerlicher Fehltritt sind. Aber gleichzeitig weiß sie auch, sie darf unmöglich jetzt die Waffen strecken.
    Sie hat sich eine Ecke im Wohnzimmer zum Studieren eingerichtet. Im Keller hat sie einen alten Mangeltisch entdeckt, den sie eines Abends in ihre Wohnung geschleppt hat. Sie kauft eine Arbeitslampe und näht ein Kissen für den Küchenstuhl, der sonst nur benutzt wird, wenn Jacob zu Besuch ist. Den Tisch stellt sie neben das Fenster, und die Blumentöpfe von der Fensterbank bringt sie in die Küche, damit Platz für Ordner und Kladden entsteht. Die größte Veränderung ist jedoch, dass die Kinder ab sofort keine Spielsachen mehr ins Wohnzimmer bringen dürfen. Jetzt müssen sie sich mit ihrem eigenen Zimmer begnügen, und Eivor sagt das in einem so scharfen Ton, dass sie es sofort verstehen. Aber natürlich liegen nach kurzer Zeit wieder Modellflugzeuge und Malstifte auf dem Mangeltisch, wenn Eivor von der Arbeit nach Hause kommt, und es fällt ihr schwer, die Kinder mit den unschuldigen Gesichtern auf die ungewohnten Grenzen hinzuweisen.
    Viel später, als alles schon in Trümmern liegt, wird siekaum über die Tatsache hinwegkommen, dass sie nie die Möglichkeit hatte, sich ernsthaft zu erproben. Hätte sie wenigstens ein paar Monate gehabt, wäre es vielleicht erträglicher gewesen. Aber so wie es kam … Eine große und sorgfältig vorbereitete Expedition, die in den ersten Tagen scheitert.
    Die Katastrophe beginnt wie gewöhnlich ohne Vorwarnung. Sie ist nach ihren ersten Abendlektionen auf dem Heimweg vom Marktplatz in Frölunda. Sie trägt an der Bürde, die sie sich so lange gewünscht hat: sie hat Unterricht bekommen. Anspruch darauf, etwas zu lernen, mit den Entdeckungen zu beginnen. Es ist zehn Uhr an einem der seltenen Januarabende, an denen der Wind sich gelegt hat und ihr nicht ins Gesicht beißt. Sie hat es eilig, nach Hause zu kommen, zu Tee und Broten und ein paar Stunden mit den Büchern, die sie in einer Plastiktüte von ICA bei sich trägt. Sie ist erfüllt von einer großen Erwartung, ähnlich der vor vielen Jahren, als sie ihren ersten Wochenlohn von Konstsilke in Borås bekam und loszog, um einzukaufen. Einer der seltsamen Augenblicke, in denen sie vollkommen sicher ist, dass kein Problem existiert, das sie nicht lösen könnte. Aber gleich darauf wird sie auf eine harte Probe gestellt. Als sie an einem Sanitätsgeschäft vorbeikommt und einen abwesenden Blick in das Schaufenster wirft, wie man sich im Dunkeln unwillkürlich einer Lichtquelle zuwendet – wird ihr plötzlich klar, dass

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