Daisy Sisters
Fahrer nickt, dreht das Autoradio bis zu beinahe unerträglicher Lautstärke auf, wütende Popmusik, und macht sich dann auf den Weg, ohne sich umzudrehen.
Als sie das Taxi verlassen hat, streift sie eine Weile in der großen Markthalle aus ockerfarbenen Ziegeln umher. Viele Stände werden schon für den Abend dichtgemacht. Der unebene Steinboden ist bedeckt mit zerdrückten Früchten, Fetzen von Gedärmen, und der Geruch von getrocknetem Blut schwebt über allem. Es ist, als ob nur ein kleiner Teil von ihr zugegen sei. Der andere, größere Teil ficht einen unablässigen Kampf aus mit Lasse Nyman, und in ihren Gedanken ist er es, der fällt, mit großen Blutergüssen über den Augen.
Sie wählt aufs Geratewohl ein Restaurant, geht eine steile Treppe hinauf und kommt in einen Raum, der überfüllt ist mit Tischen und Menschen. Sie will kehrtmachen, als ein aufmerksamer Ober sie aufhält und freundlich, aber bestimmt zu dem kurzen Ende eines langen Tisches führt, an dem deutsche Touristen sitzen. Sie bekommt eine fettige Speisekarte in die Hand gedrückt und versucht, die schwer lesbare Schrift zu entziffern. Ein weiterer Ober ist an ihrer Seite aufgetaucht und zeigt hartnäckig auf das teuerste Gericht. Aber sie ist nicht besonders hungrig, darum folgt sie ihm nicht, sondern zeigt auf eine Suppe, Caldeirada , und eine Karaffe Rotwein. Die Deutschen am Tisch sind dabei,ihre Mahlzeit mit einer Art Karamellpudding zu beenden, natürlich mit einem weiteren Krug Bier für jeden. Sie schaut sie an und fragt sich, warum Deutsche entweder unmäßig fett und aufgedunsen oder mager wie Krebskranke im letzten Stadium sind. Gott bewahre sie davor, so fett zu werden …
Die Suppe kommt auf den Tisch, Zwiebeln, Kartoffeln und Olivenöl auf einem braunen Teller. Sie trocknet ihren Löffel mit einer Papierserviette und beginnt zu essen …
Plötzlich wird sie von einem schrecklichen Heimweh befallen, dem sofort der treueste aller ihrer Lebenstrabanten folgt: das Schuldgefühl. Staffan und Linda, sie hat mehrere Stunden lang nicht an sie gedacht, und sie schämt sich beinahe.
Der Wein hat ihre Stimmung nicht aufgehellt, und so sieht sie davon ab, noch eine Karaffe zu bestellen. Es gelingt ihr, die Aufmerksamkeit des gehetzten und schwitzenden Kellners zu erlangen, und sie bezahlt eine Rechnung, auf der sie nur die Endsumme lesen kann. Sie weiß nicht, wie viel Trinkgeld sie geben soll, legt erschöpft einen Schein, der vermutlich viel zu groß ist, auf den Unterteller und steht auf.
Der Abend ist kühl, und sie fröstelt, als sie hinaus auf die Straße tritt. Am liebsten würde sie zu Fuß zum Hotel gehen, aber sie ist unsicher, ob sie es wagen soll. In der Dunkelheit wird die fremde Welt bedrohlich. Schließlich läuft sie los und schwenkt in die Rua de Alfândega ein. Wer soll sich schon an sie heranmachen, eine Frau mit einem großen blauen Fleck über einem Auge, denkt sie wütend und trabt weiter. Jetzt will sie nach Hause. Dies ist das erste und letzte Mal, dass sie sich zu einer Ferienreise hat einladen lassen. Aber es ist sicher nicht das letzte Mal, dass sie der Kälte abschwört und die Wärme aufsucht! Auch das ist ein Versprechen, und sie bekräftigt es mit einem leisen Fluch, während sie beginnt, dielange Steigung zu dem lang gestreckten Hotelreservat hinaufzugehen.
Sie hat gerade einige Ansichtskarten geschrieben, die sie gestern gekauft hat, als es an der Tür klopft. Das Geräusch ist so schwach, beinahe rücksichtsvoll, dass es eigentlich nicht Lasse Nyman sein kann. Aber natürlich ist er es trotzdem, und er steht in ihrer Tür und weint. Sie ist so verwundert, dass sie gar nicht daran denkt, die Tür zuzuschlagen, sondern zur Seite tritt und ihn hereinlässt. Sie kann nicht ausmachen, ob er angetrunken ist, aber er geht mit sicherem Schritt zu ihrem Sofa. Da sitzt er und reibt sich die Augen. Aber sie hat ja seine Tränen bei einer früheren Gelegenheit erlebt, auf dem Rücksitz jenes Autos vor bald zwanzig Jahren.
»Weißt du, warum ich nach Madeira fahren wollte?«, fragt er plötzlich, und seine Stimme ist rau und schwach.
»Du hast gesagt, dass die Kanaren zu gewöhnlich sind.«
Er schüttelt den Kopf. »Hier kann man Psychopharmaka ohne Rezept kaufen«, sagt er, und um seine Worte zu unterstreichen, beginnt er, viereckige Schachteln aus der Jackentasche hervorzukramen, Valium und Stesolid.
»Das hier sind mindestens tausend Tabletten«, sagt er. »Von zwei Apotheken. In Schweden hätte ich
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