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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wenn sie es jetzt nicht in Angriff nimmt, dann ist es zu spät.
    Sie starrt auf ihr Fahrrad, dann gewinnt sie ihre Fassung zurück. Sie stellt es wieder hin, lässt es aber angeschlossen und geht zu Fuß nach Hause. Sie braucht Zeit, um nachzudenken, und die Kälte tut ihr sogar gut.
    Einer ihrer Arbeitskollegen geht auf der Straße vorbei und ruft »Hej«, aber das registriert sie nicht, und als sie es am nächsten Tag bei der Arbeit zu hören bekommt, reagiert sie verständnislos.
    Leider ist der Heimweg viel zu kurz. Wenn sie erst einmalzu Hause angekommen ist, wird ihr geliebter Peo sein Essen haben wollen, ebenso die achtjährige Elin, und vielleicht ist auch Linda zu Hause und braucht jemand, mit dem sie reden kann …
    Sie geht durch das Zentrum von Borlänge. Ein Stadtkern, der so verwinkelt ist, dass er trotz seiner geringen Größe für einen Fremden wie ein Labyrinth wirken kann.
    Abwesend wirft sie hier und da einen Blick auf die großen Schaufenster und fragt sich zerstreut, was sie Elin zu Weihnachten schenken soll. Was wünscht sich eine Achtjährige? Zu Beginn dieses neuen Jahrzehnts? Vor dem Hotel Brage stolpert ein betrunkener Mann und fällt. Sie schreckt zurück, als sie sieht, dass es ein junger Bursche ist.
    Sie merkt, dass sie den Faden verloren hat, und fängt noch einmal von vorne an. Sie sucht nach einem Zugang, denkt zurück an damals vor sieben Jahren, als sie sich entschloss, von Västra Frölunda in Göteborg hier herauf nach Dalarna zu ziehen. Hätte sie das gemacht, wenn sie gewusst hätte, wie es werden würde? Doch, sicher. Das ist nicht das Problem. Sie erinnert sich, dass es nur wenige Monate dauerte, da konnte sie sich kaum noch vorstellen, jemals in Göteborg gewohnt zu haben. Und wenn sie dann noch an all das Schöne denkt, was sie trotz allem in diesen sechs Jahren erlebt hat … Gar nicht davon zu reden, was mit Staffan hätte geschehen können … Und jetzt ist er zwanzig und ist von zu Hause ausgezogen.
    Die Gedanken verschwimmen, sie verliert den Faden und bekommt ihn wieder zu fassen. Und diesmal klappt es, sie schafft es, ihn aufzuwickeln.
    Eivor Maria Skoglunds langer Weg. (Den Nachnamen Halvarsson hat sie endlich gestrichen, die jüngste Tochter Elin heißt ebenfalls Skoglund.)
    Ein Abend im November, der die Ankunft des langen kaltenWinters ankündigt. Blass ist sie in ihrem dunkelblauen Steppanorak …
    Als der Lastwagen, der den Umzug nach Borlänge besorgen sollte, an einem Tag im Juni 1975 endlich fertig beladen war, direkt nach Staffans und Lindas Schuljahresende, denkt Eivor, dass etwas für sie zu Ende geht. Sie empfindet keine erwartungsvolle Aufbruchsstimmung. Die Ladefläche des Lastwagens vollgestopft mit Möbeln und Kartons, erweckt vage Angstgefühle. Als der Fahrer, ein Freund von Jacob, den sie zuvor nicht kannte, eine schmutzige Plane über die Ladefläche zieht, meint sie, eine Ladung Abfall vor sich zu haben. Eine Fuhre zu einer stinkenden Mülldeponie, nicht zu einer Dreizimmerwohnung im zentralen Borlänge. Aber natürlich beruht das nur darauf, dass sie müde ist, die letzte Woche hat sie kaum ein Auge zugetan, und die Wohnung war ein einziges Chaos, dem sie mit knapper Not entkommen ist. Wie gewöhnlich, wenn sie vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts steht, erlebt sie das, was sie sieht, als vollkommen unwirklich. Der Lastwagen könnte genauso gut auf dem Weg nach Mexiko sein. Aber sein Ziel ist Borlänge, und jetzt ist der Fahrer fertig damit, die Plane festzuspannen, und schaut ungeduldig zu ihr hinüber. (Als Jacob endlich eingesehen hatte, dass es Eivor ernst damit meinte, von Västra Frölunda wegzuziehen, war er ihr eine größere Hilfe als während ihrer ganzen Ehe. Er zauberte einen Lastwagen zu einem erstaunlich geringen Preis – wenn nur keine umständlichen Quittungen geschrieben werden müssen! Der Fahrer ist ein Freund von ihm, und sie weiß nur, dass er Janne heißt. Als sie fragt, was er arbeitet, antwortet er: »Von jedem etwas.« Es ist Jacob, der den Umzug organisiert hat, und sie hat es dankbar entgegengenommen, froh, wenig damit zu tun zu haben.) Sie geht ein letztes Mal durch die leere Wohnung, denkt mit einer Mischung von Unbehagen undErleichterung, dass sie nie zurückkehren wird, schließt dann die Wohnungstür ab und steckt den Schlüssel in den Briefkasten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, knibbelt sie danach die Plastikfolie über dem Namensschild ab, entfernt die Buchstaben, die den Namen »E Halvarsson«

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