Daisy Sisters
und verstocktem Antichrist riecht, wird mit Lauge geschrubbt. Anders aus Hossamåla verschwindet im Geruch von Schmierseife so spurlos, als hätte er nie existiert. Irgendwann wird er vielleicht wiederentdeckt, als Fußnote in der Geschichte der Bauernkomiker.
Eivor muss an jedem Wochentag den Zug erwischen, der Hallsberg um 7.03 Uhr verlässt, und fünf Minuten vor acht steigt sie die Treppe zu Jenny Anderssons Schneideratelier hinauf. Es liegt unter einem Dachfirst in Örebro, mit Aussicht über das Schloss und das alte Theater. Da sitzt sie an ihrem Tisch, wenn sie nicht Besorgungen machen muss oder Frau Andersson zu einem Kunden begleitet, um Maß zu nehmen oder wegen einer Anprobe. Sie ist fleißig und hat offensichtlich Talent, Frau Andersson hat selten etwas zu beanstanden, lobt sie aber häufig. Wenn sie fragt, ob es Eivor Spaß mache, so antwortet sie zustimmend. Aber macht es das wirklich?
Der Dachfirst ist so nahe über ihrem Kopf, sie hat ein Bedürfnis nach Stille, nach einer unbeweglichen Welt. Die Ungeduld hat sich in ein verzweifeltes Bedürfnis nach Ruhe verwandelt. Da ist etwas, womit sie fertig werden muss. Dass sie die ist, die sie ist, kann sie im Spiegel sehen oder an dem Blut, das heraustropft, wenn sie sich mit der Nadel sticht. Aber da ist auch noch etwas anderes, wie das Echo eines Gedankens, den sie als Kind einmal gedacht hat.
Was hat sie eigentlich auf der Welt zu verrichten?
Sie schafft es nur kurze Zeit, darüber nachzudenken. Sie näht oder holt Stoff vom Bahnhof oder trägt fertige Kleider und Blusen in die besseren Viertel der Stadt. Mit Anders’ Katze ist sie nachsichtig, ansonsten ist sie unduldsam, die Welt soll sie behutsam behandeln, sehen sie nicht, dass sie so gefährdet ist, dass der kleinste Stoß sie zerbrechen kann?
Etwas muss heilen.
Erst später kann sie anfangen, wieder selbständig gehen zu lernen.
Bis dahin näht sie, und sie ist tüchtig. So tüchtig, dass sie rechtzeitig zu Weihnachten eine Lohnerhöhung bekommt.Sie knickst und dankt, empfindet aber keine Freude, erst als sie nach Hause kommt und sieht, wie glücklich Elna und Erik darüber sind, fühlt sie, wie etwas in ihr leichter wird.
Im Zug zwischen Hallsberg und Örebro denkt sie an Lasse Nyman. Das ist notwendig, wie weh es auch tut. Denn so viel hat sie verstanden, dass sie ihrem eigenen Leben erst auf die Spur kommen kann, wenn sie begriffen hat, was sie an ihm so gewaltig angezogen hat.
Einige Wochen nach Anders’ Tod wird Erik zur Tagesschicht versetzt. Er hat lange auf der Warteliste gestanden, und jetzt ist er an der Reihe. Nun kann er sich zur gleichen Zeit wie Elna am Abend schlafen legen. Aber wenn Elna aufsteht, ist er schon gegangen, er fängt Viertel vor sechs an und ist immer pünktlich. Wie er es auch anstellt, immer muss er zuerst raus …
Tagsüber ist Elna also allein zu Hause. Die Wohnung ist still, und sie merkt, dass sie froh darüber ist, Anders’ schäbige Katze zu haben, ein lebendes Herz in der Stille.
Oft steht sie am Schlafzimmerfenster und schaut hinüber auf das dunkle und verlassene Haus, in dem Anders gewohnt hat. Der Missionsverbund hat die Außentür zugenagelt, erst im Frühjahr wird man das Haus nutzen. Sie steht da und schaut auf das Küchenfenster, glaubt manchmal, seinen Schatten da drinnen zu sehen. Aber er ist fort, sie glaubt nicht an Geister.
Manchmal fragt sie sich, ob er es wusste. Dass sie sich im Klaren darüber war, wie er dort saß und sie beobachtete, wenn sie sich auszog. Dass sie es entdeckte, als er erst wenige Wochen dort wohnte.
Es gibt ihr auch ein Gefühl von Schuld, weil sie sich nichts hat anmerken lassen. Aber vielleicht wird es durch das aufgewogen, was sie ihm gegeben hat. Ein Gefühl der Macht, zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden.
Sie kann es auch umdrehen. Warum hat sie es getan? Warum zog sie nicht die Gardinen vor? Was bekam sie von ihm? Etwa ein Gefühl von Bedeutung?
Die Katze ist in den Wäscheschrank gesprungen und hat sich zusammengerollt. Die Wohnung ist ruhig, es rauscht nur schwach in den Wasserrohren. Es ist zehn Uhr am Vormittag, sie hat die Betten gemacht und aufgeräumt und das Abendessen vorbereitet. Jetzt kann sie den Tag verbringen, wie sie will.
Es ist nur so, dass sie nichts will. Sie schlägt die Zeit einfach nur tot.
Bis jetzt.
Denn im vergangenen Sommer wurde sie immerhin an etwas erinnert, während der Tage in Malmö, zusammen mit Vivi. Sie weiß, dass sie erst dreiunddreißig Jahre alt ist, dass
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