Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Sein Name war Salomon de Beauvoir, wobei ich mir recht sicher war, dass dieser Name nicht sein echter war, zumal ich von Sonja erfahren hatte, dass er niederländische Wurzeln hatte, seit ungefähr zehn Jahren in der Nähe von Saarlouis lebte und sich einen guten Namen als selbsternannter Hochzeitsführer gemacht hatte. Ich hatte Salomon ein paar Mal in unserem Haus gesehen, selbst aber nie mit ihm gesprochen, außer das eine Mal, wo er mir vorgestellt wurde. Ansonsten hatte ich in Bezug auf meine eigene Hochzeit nicht viel mitzureden gehabt. Nicht bei der Auswahl meines Kleides, nicht bei der Wahl meines zukünftigen Mannes, warum also bei einem Brautführer?
Salomon betrat meinen Salon, begrüßte mich galant mit einem Handkuss. „Mein schönes junges Fräulein, Sie sehen nicht nur bezaubernd aus, ich darf aufgrund meiner langjährigen Erfahrung sagen, dass ich noch nie so etwas Schönes gesehen habe.“
Er schaute mir dabei in die Augen und aus eben diesen sprach Ehrlichkeit. Dankbar lächelte ich ihn an. Salomon war nicht mehr der Jüngste. Er war bestimmt auch nicht der Schönste, aber er strahlte Ruhe aus. Seine grauen Augen hinter einer kleinen runden Brille schauten warm und humorvoll in die Welt. Er war geschmackvoll gekleidet und wirkte sehr seriös. Er erklärte mir kurz den Ablauf des heutigen Tages und während er sprach, musste ich ihn wohl immer ungläubiger angeschaut haben. Salomon hörte mitten im Satz auf zu sprechen. „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man Sie nicht in Kenntnis gesetzt hat.“
Seine Worte beinhalteten keine Frage, sondern schlicht und ergreifend eine Feststellung. Noch immer schaute ich ihn ungläubig an und konnte nur den Kopf schütteln. Selbst wenn ich es gewohnt war, dass ich nie in Vorbereitungen mit einbezogen wurde, dass ich nie Entscheidungen zu treffen hatte, sondern dass immer andere Menschen für mich Entscheidungen getroffen hatten, traf es mich nun wie ein Blitzschlag. Bei meiner Verlobung hatte man mir wenigstens die Großzügigkeit erwiesen, mich einen Tag vorher von diesem Ereignis in Kenntnis zu setzen. Aber zu diesem großen Anlass hatte es niemand für nötig befunden, mir wenigstens einen Tag vorher zu sagen, dass ich heute rasch nach der Trauung schon in der Kutsche Richtung Pointe du Raz sitzen würde.
Sicher, es war soweit alles gepackt. Meine Bücher und Kleidung, die Aussteuer nicht zu vergessen, waren schon seit Wochen auf dem Weg zu ihrem fernen Ziel. Es gab hier zwar nichts, was mich hielt, aber dennoch ...
Immerhin hatte ich hier zwanzig Jahre meines Lebens verbracht. Ich hatte darauf gehofft, schon heute meinen Mann ein wenig besser kennenzulernen. Innerlich hatte ich mich darauf vorbereitet, was des Nachts zwischen mir und Jacques im Geheimen stattfinden würde. Ich merkte, wie meine Knie nachgaben. Salomon umfing mich sanft. „Niemand hat Ihnen etwas gesagt, kleines Fräulein? Kein einziges Wort?“ Ich schüttelte den Kopf. „Es tut mir so leid. Wenn ich es nur geahnt hätte, dann hätte ich es Ihnen sanfter beigebracht. Es tut mir so furchtbar leid.“
Ich konnte nichts sagen, konnte ihn nur anschauen und versuchte, ein wenig Kraft aus seinen warmen und ehrlichen Augen zu schöpfen.
„Ihre Mutter sagte zu mir, dass es sich um eine Überraschung handeln würde. Ich habe es geglaubt. Dabei dachte ich aber, dass man Sie kurz vorher in Kenntnis setzen würde.“ Er schaute beschämt zur Seite und fing an zu stammeln: „Es, es tut mir wirklich ganz furchtbar leid, liebes Kind.“ Er vergaß, dass ich eine völlig Fremde für ihn war und nahm mich sanft in seine Arme. So musste es sich anfühlen, wenn ein Vater seine Tochter tröstet.
„Warum habe ich nicht einen Vater, der so ist wie Sie?“
Diese Worte sprudelten einfach so heraus. Ich kannte Salomon nicht, aber ich spürte Wärme und Mitgefühl. Er hielt mich ein Stückchen von sich weg und betrachtete mein Gesicht. Ich spürte die Wärme seiner Hände durch den Stoff meines Kleides auf meiner Haut und ich sah die Erschütterung in seinem Gesicht.
„Ich ahne nur, wie Ihr Leben bisher verlaufen ist.“ Die Fingerspitzen seiner rechten Hand strichen sanft über meine linke Wange und ich wurde mit einem Mal ganz ruhig. Tief atmete ich ein und aus. Er musste gespürt haben, musste in meinen Augen gesehen haben, dass ich mich langsam beruhigte und sagte zu mir: „Schon vieles ist mir in meinen Leben passiert. Aber so etwas wie heute noch nie. Mir fehlen fast die Worte.
Weitere Kostenlose Bücher