Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
Sofie fing an zu kichern und die Männer konnten sich kaum noch halten vor Lachen. Dieser Abend wurde zu einem der schönsten in meinem Leben. Nein, jeder Abend auf dieser Reise wurde zu einem der schönsten. Für immer eingeprägt in meinem Herzen. Wie auch die Männer verschlang ich einen zweiten Teller vollgefüllt mit diesem herzhaften Eintopf. Ein zweites Bier versagte ich mir aber. Stattdessen nahm ich das Angebot der Wirtsleute gerne an, noch einen frischen Kaffee zu trinken. Schnell ging ich hinauf in mein Zimmer, um für uns alle ein paar Leckereien aus Saarlouis zu holen. Unsere Köchin hatte soviel eingepackt, dass wir alle davon schlemmen konnten. Sie hatte es gut gemeint. Wahrscheinlich sollte ich damit die erste Zeit in meinem neuen Heim überbrücken, denn sie hatte viele wunderbare Dinge gezaubert, die sich über einen langen Zeitraum halten würden. Aber es war ein so wunderschönes Gefühl, etwas zu teilen. Ich hatte nie jemanden gehabt, mit dem ich etwas teilen konnte. Und wenn ich auch jetzt nicht viel hatte, was ich teilen konnte, das Wenige, dass ich hatte, würde ich gerne teilen wollen. Ich entschied mich für ein Früchtebrot und ein Glas selbstgemachter Traubenmarmelade. Diese Komposition hatte ich schon als kleines Kind geliebt. Die Köchin hatte mir soviel davon eingepackt, dass ich auch unseren Wirtsleuten und natürlich ihrem Sohn davon anbieten konnte. Allen schmeckte es vorzüglich und das Früchtebrot war im Nu verputzt. Wir verlebten einen wunderschönen Abend. Nie in meinem Leben hatte ich so herzhaft lachen können wie an dem heutigen Abend. Alle erzählten ein paar lustige Geschichten aus ihrem Leben. Alle, außer mir. Was hätte ich auch erzählen sollen? Die Geschichte von dem Büchlein, das ich gefunden hatte? Nein, das war ganz und gar nicht lustig. Von dem Tag meiner Vermählung? Nein, darüber gab es auch nichts Lustiges zu erzählen. Und so gab ich mich den Geschichten hin, die ich hörte und wünschte mir so sehr, das ein oder andere erleben zu dürfen.
Die Uhr im Gastraum schlug die zehnte Stunde und Heinrich gemahnte uns, ins Bett zu gehen, damit wir am nächsten Tag ausgeruht unsere Reise nach Chateau Thierry antreten würden. Und so taten wir, wie uns geheißen wurde.
Am nächsten Morgen wachte ich ausgeruht auf. Das Bett war wunderbar bequem gewesen, der Sonnenaufgang war der Vorbote für einen weiteren wundervollen Tag und maman Sofie’s Lächeln erschien mir noch wärmer als sonst. Auch das herzhafte Frühstück nahmen wir mit den drei Männern ein, die frisch gewaschen und ausgeruht weitere Geschichten aus ihrem Leben und von ihren Reisen erzählten. Und so bestiegen wir in bester Laune unsere Reisekutsche.
Von Chateau Thierry aus ging es weiter zu einem Ort in der Nähe von Paris, dessen Namen ich vergessen habe, über Chartres, Nogent-Le Rotrou und La Bazage nach Saint Berthevin. Die Tage und Nächte waren wi e im Flug vergangen. Mit so viel Wärme, Freundlichkeit und Heiterkeit. Mehr als die Hälfte der Reise hatten wir schon hinter uns.
In diesen wenigen Tagen war mir maman Sofie eine so wichtige Person an meiner Seite und in meinem Herzen geworden, dass ich es mir versagte, auch nur eine Sekunde daran zu denken, wie es sein würde, wenn sich unsere Wege trennen. An diesem Tag, auf dem Weg nach Saint Berthevin, hatte ich ihr mein Herz ausgeschüttet. Sogar von meinem Fund hatte ich ihr erzählt. Diesem unsäglichen Fund, diesem unsäglichen Handeln meiner Mutter. Obwohl ich die Zeilen im Tagebuch meiner Mutter nur ein einziges Mal gelesen hatte, waren diese fast wortwörtlich in mein Gehirn eingebrannt. Ich schämte mich, als ich die Schandtaten meiner Mutter gegenüber dieser liebevollen und herzlichen Frau ausbreitete. Und doch, so sehr ich mich auch schämte, war es mir, als ob ein riesiger Steinbrocken von meinen Schultern und aus meinem Herzen genommen wurde. Als ich maman Sofie davon erzählte, waren wir noch nicht in Saint Berthevin angekommen. Als ich mit meiner Geschichte geendet hatte, sah ich in das Gesicht von maman Sofie. Ihr Gesichtsausdruck war traurig, so unsagbar traurig. Aber sie wirkte auf mich in keinster Weise schockiert. Während ich ihr die Geschichte des Büchleins anvertraute, liefen mir lautlos dicke Tränen die Wangen herab. Ich schaute sie an und sie gab mir zu verstehen, dass ich mich an ihre Seite setzen sollte. Nur zu gern kam ich dieser Aufforderung nach. Meine Augen brannten, meine Hände waren eiskalt und flatterten
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