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Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Titel: Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samarkand
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angeschnitten war, wir saßen alle noch in der Küche an unserem großen Tisch zusammen, hörte ich Mutter laut aufschreien. Sie war Cecile hinterhergegangen, die schon vor recht langer Zeit das Zimmer verlassen hatte. Mutter wollte nachschauen gehen, ob alles in Ordnung sei. Ich weiß es noch wie heute, mein Vater und ich saßen nah bei der Küchentür, die zum Treppenhaus führte. Wir beide sprangen auf, doch ich war ein wenig schneller und somit lief ich zuerst die Treppe zu unseren Schlafkammern hinauf, von wo ich den Schrei meiner Mutter vermutete. Meine älteste Schwester und ich teilten uns eine etwas größere Kammer, und da Cecile ja schlecht mit einem unserer Brüder in einem Raum schlafen konnte, hatten meine Eltern einen kleinen Teil ihres Schlafzimmers an sie abgegeben. Mein Vater hatte sogar Wände aus einfachen Holzlatten eingebaut, damit Cecile sich hin und wieder etwas zurückziehen konnte. Unsere Eltern waren wirklich sehr großzügig und immer der Meinung gewesen, dass auch Kinder einen Ort brauchen, an dem sie ein wenig ungestört sein können. So lief ich durch das Schlafzimmer meiner Eltern zu der Öffnung, die in Ceciles kleines Reich führte. Oh mein Gott chèrie, es war wie in einem Albtraum.“
    Ein e Minute des Schweigens verging.
    „ Seitdem wir den Schrei von Mutter gehört hatten, hatten sich wohl weder Mama noch Cecile bewegt. Meine Mutter lehnte kreidebleich an dem notdürftigen Türrahmen und hatte die Hände vor ihren Mund gepresst, wie, um weitere Schreie zu unterdrücken. Cecile stand nicht weit von ihr entfernt. Eines ihrer Beine hatte sie auf die Bettkante gestellt. Man hätte meinen können, sie wolle sich nur den Schuh neu binden, aber dann hätte Mutter wohl kaum geschrien. Feinste Seidenstrümpfe zierten die Beine von Cecile. Das Kleid war so weit hochgezogen, dass die weiße Spitzenunterwäsche gut zu sehen war. Und die Strapse, die mit knallroten Knöpfen in Form von großen Rosenköpfen die feinen Strümpfe hielten. Oh chèrie, wir wurden anständig erzogen, aber trotzdem wussten wir, dass es auch nicht so anständige Menschen gab. Wir wussten auch, dass es Dirnen gab, die für Geld ihren Körper feilboten. Ich sah diese Frauen oft, wenn ich die selbstgemachte Marmelade meiner Mutter zu einem Krämerladen brachte, der sie für uns verkaufte. Ich hatte gesehen, wie diese Frauen in ihren knappen Kleidern die Röcke lüfteten, wenn sich Männer näherten. Sei mir bitte nicht böse chèrie, aber wir wussten von so vielen Dingen, die Du bis heute noch nicht zu Gesicht bekommen hast. Für uns war das normal. Von unseren Eltern waren wir angehalten worden, diese Menschen nicht zu begutachten wie irgendein seltenes Tier. Unsere Eltern hatten uns so erzogen, dass wir wussten, dass es viele Menschen gab, Bettler wie auch Huren, die es nicht so gut hatten wie wir. Die kein Heim hatten und auch keine Familie, die für einen da ist.“ 
    Mir brach das Herz, als ich sah, wie schwer es maman Sofie fiel, diese Geschichte zu erzählen. Nichts fiel mir ein, um ihr en Schmerz zu lindern. Was hätte ich auch tun oder sagen können? Sie hatte von Schatten gesprochen, die schon seit Jahrzehnten ihr steter Begleiter waren. Und ich wusste, dass diese Geschichte an dieser Stelle noch nicht ihr Ende gefunden hatte. Ich fiel vor ihr auf die Knie und packte sie sanft an den Oberarmen. Ein einfaches Gefühl, ein Stück Dasein, ein Stück Nicht-Alleinsein. Mehr konnte ich nicht geben. Ich hätte so gerne, aber es ging nicht. Aber maman Sofie verstand, was ich ihr geben wollte und sie nahm es an. Sie schaute mir in die Augen, in denen jetzt keine Tränen mehr standen, nur noch Trauer, eine tiefe Trauer war darin zu erkennen.
    „Dies, chèrie, war nicht die Unterwäsche einer bürgerlichen Tochter. Es war auch nicht die Wäsche einer reichen Dame, dafür mutete sie zu billig an. Dies alles nahm ich wohl im Bruchteil einer Sekunde wahr, denn schon im nächsten Augenblick stand unser Vater hinter mir, sah Cecile, stieß mich in Richtung meiner Mutter und war mit einem Schritt bei Cecile. Nur einen kurzen Augenblick konnte ich sein Gesicht sehen, dann stand er mit dem Rücken zu mir und meiner Mutter. Da war Zorn und da war Wut in seinem Gesicht, aber vor allen Dingen sah ich die Angst in seinen Augen. Die Angst um seine jüngste Tochter. Von diesem Augenblick an war alles anders. Vater stieß Ceciles Bein von der Bettkante und riss ihr im selben Augenblick, so schien es, das Kleid von den Schultern.

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