Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
war für mich etwas Fremdes geblieben.
Und dennoch, hier am westlichen Ende der Bretagne in Pointe du Raz, hier am Ende der Welt, lernte ich die Liebe kennen. Eine andere Art von Liebe, aber die Liebe. Die Liebe für dieses Land, die Liebe für dieses vom Meer ständig umtoste Fleckchen Erde.
Von meinem Turm aus konnte ich auf das urzeitliche Kap blicken. Dieses Kap ist das Übriggebliebene, ist der zerklüftete Rest der Halbinsel Sizun, ein Ort der Sagen und Legenden. Auch hatte ich einen wunderschönen Blick auf die Île de Sein, der Insel der Feen und Toten. Hier ragen die Klippen der wilden Steinküste über 70 Meter empor und ohne Pause peitscht der Wind darüber hinweg, rennt der Atlantik dagegen an. Oft ging ich am Meer entlang und spürte im Laufe der Jahre meine Liebe wachsen und wachsen.
Mein Leben folgte in keinster Weise der Norm. Ich war verheiratet, aber immer allein. Das Haus war voller Dienstboten, aber ich hatte niemanden zum Reden. Jacques war erfolgreich und berühmt, aber mich kannte niemand. Es fragte auch nie jemand nach mir. Ob es mich in der Außenwelt wirklich gab, als Gattin von Jacques Kastel-Paol, habe ich nie erfahren. Ich lebte in einem großen Haus, aber es war immer still dort. Meine Eltern lebten noch immer in Saarlouis, aber ich hatte keine Familie. Durch die Verbindung mit Jacques war ich reich, aber ich brauchte nichts. Das Wenige, das ich benötigte, konnte ich in Pointe du Raz erwerben oder dort in Auftrag geben. So lebte ich jahrelang mein Leben in meinem Turm, an meiner Steilküste, in meinem Dorf, in einem Land, dem ich mit jedem neuen Tag ein Stück mehr meines Herzens schenkte. Ich hatte ja genug davon. Im Laufe dieser Jahre wurde ich mir selbst genug. Wie ich das Wort Liebe nicht wirklich definieren konnte, so kannte ich auch keine Freundschaften und hatte auch keine. Die Dienstboten hielten sich fern von mir und mit den Menschen, die in Pointe du Raz lebten, ging es über einen kleinen Plausch am Rande nie hinaus. Ich machte ausgedehnte Spaziergänge, las viel und konnte stundenlang an einem meiner Turmfenster sitzen und hinausschauen. Mein Lieblingsmotiv wurde im Laufe der Jahre die Île de Sein, die jeden Tag durch das Spiel der Natur in ein anderes Licht getaucht wurde.
Erlaubt mir jedoch noch einmal zurückzublicken, denn es gibt noch etwas Wichtiges zu berichten, denn Ihr könnt Euch sicher denken, dass maman Sofie und meine lieben Freunde Heinrich, Toby und Alfred nicht so sang- und klanglos aus meinen Leben verschwanden. Und dennoch …
Heinrich und die beiden anderen hatten geplant, noch eine Woche auf dem Anwesen in Point e du Raz zu bleiben, um sich ein wenig auszuruhen und alles für die Rückreise vorzubereiten. In dieser Zeit schlich ich mich, so oft es mir möglich war, hinaus zu den dreien, was nicht immer ganz einfach war, da überall irgendjemand von der Dienerschaft anzutreffen war. Ob im Haus, in der Empfangshalle oder bei den Ställen. Aber schnell hatten die Männer einen Platz ein Stückchen hinter dem Garten des Anwesens gefunden, wo wir soweit sicher vor neugierigen Blicken waren. Und wenn nicht, dann ist mir nie etwas zu Ohren gekommen.
Da ich mir jeden Tag wünschen konnte, was in der Küche für mi ch zubereitet werden sollte und mir alles an Leckereien und guten Weinen kommen lassen konnte, was mein Herz begehrte, fielen in dieser Zeit meine Wünsche etwas üppiger aus. So füllte ich eine meiner kleinsten Reisetaschen für unsere Treffen mit gutem Wein, Brot, Käse, leckeren kleinen Kuchen und anderem, was mir passend erschien. Es fragte keiner, es kümmerte keinen. Wahrscheinlich dachte die Dienerschaft, dass ich meine Einsamkeit mit Rotwein ausfüllte. Es kümmerte mich nicht.
Als diese Woche sich dem Ende zuneigte, sagte Heinrich, dass es jetzt an der Zeit wäre, das erste Mal aufzubrechen, um maman Sofie zu mir zu bringen. Wir hatten in diesen vergangenen Tagen oft von ihr gesprochen und ich wusste, dass mir, wenn maman Sofie hier bei mir weilte, auch Heinrich, Toby und Alfred noch da sein würden. Dem Ende dieses Zusammenseins widmete ich noch keinen Gedanken. Das hätte ich nicht ertragen.
Aber das, was noch auf mich wartete, hatte ich noch zu ertragen und ertrug es auch. Irgendwie.
Schon am nächsten Tag brachen die drei nach einem zeitigen Frühstück auf und ich verabschiedete sie am Fuße der Treppe zum Haupteingang. Wenn das für die Dienerschaft vielleicht auch recht unziemlich erschien, so hatte ich doch
Weitere Kostenlose Bücher