Damals im Dezember
an. Du musst ihn jetzt sofort anrufen.«
Er sah mich mit einem seltsamen Grinsen an. »Einen Onkel hab ich auch nicht.«
Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Zum ersten Mal sah ich Sean so, wie er wirklich war. Ich schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, und er ging zu Boden. »Du widerlicher Dieb«, schrie ich. »Du verlogener, ekelhafter Schnorrer.«
Er fasste sich mit der Hand an die Nase. »Du hast mich geschlagen.« Er sah mit einem schiefen Grinsen vom Boden aus zu mir hoch. »Du bist ein Heuchler, Crisp. Woher hast du denn dein Geld? Du hast es dir nicht im Schweiße deines Angesichts erarbeitet, Mann. Du hast deinen alten Herrn benutzt – und ich habe dich benutzt. Das ist der Lauf der Welt.«
»Du hast für alles eine Entschuldigung, nicht wahr, du Drecksack.«
Auch mit Blut im Gesicht lächelte er noch. »Ich habe es dir gesagt, als wir uns das erste Mal trafen«, sagte er. »Seelen aus Pappe, Mann. Seelen aus Pappe.« Er stand auf und entfernte sich stolpernd von mir.
Bis zu dem Moment hatte ich nicht gewusst, dass ich imstande war, jemanden so sehr zu hassen.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Ich habe Sean die Maske vom Gesicht gerissen, um den wahren Mann dahinter zu enthüllen, und dann erkannt, dass er mir mit Maske lieber war.
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Ich besaß noch 577 Dollar. Ich nahm ein Taxi für zwölf Dollar zurück zum Hotel – es war das erste Mal seit sechs Monaten, dass ich wirklich auf den Betrag achtete – und ging nach oben in unser Zimmer. Candace lag auf dem Bett.
»Hallo«, sagt sie, als ich ins Zimmer kam. »Tut mir leid, dass ich deine Anrufe nicht mitbekommen habe. Ich war unter der Dusche.«
»Wir müssen gehen«, erklärte ich.
Sie sah mich fragend an. »Wohin gehen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich und setzte mich auf das Bett.
Sie richtete sich auf. »Was ist passiert?«
»Sean ist weg«, sagte ich. »Endgültig.« Ich rieb mir die Faust.
»Hat er dir das Geld zurückbezahlt?«
Ich grinste finster. »Aber klar doch.«
»Was ist mit seinem Onkel? Hat er ihn angerufen?«
»Sean hat keinen Onkel.«
»Was?«
Ich sah ihr in die Augen. »Candace, mir ist das Geld ausgegangen.«
»Was meinst du damit?«
»Mein gesamter Fonds ist futsch.«
Sie starrte mich schockiert an. »Wir können unmöglich so viel ausgegeben haben.«
»Ich hatte nicht so viel, wie ich dachte. Und durch den Aktienmarkt, die Fünfsternehotels, die Dreißig-Dollar-Martinis, Seans Zockerei und den Umtauschkurs bin ich pleite.«
Einen Moment lang war sie sprachlos. Dann fragte sie: »Und was machen wir jetzt?«
Ich holte tief Luft. »Ich weiß es nicht. Hast du noch Geld?«
»Nur ein paar Hundert. Wo ist deine Uhr?«, fragte sie.
»Ich habe sie im Rehab verkauft. Anders hätten sie mich da nicht rausgelassen. Hast du zu Hause noch Geld?«
»Ich hab ein paar Tausend auf einem Rentenkonto.«
»Damit werden wir nicht weit kommen.«
Candace wirkte entsetzt. »Du musst deinen Vater anrufen.«
»Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich das nicht kann«, fuhr ich sie an.
»Damit er nicht erfährt, dass du gescheitert bist?«
»Das weiß er doch längst. Ich bin in dem Augenblick gescheitert, in dem ich ihn verlassen habe. Und nein, ich will nicht, dass er mich so sieht.«
Candace stand da und dachte über unser Dilemma nach. Schließlich sagte sie: »Was sollen wir tun, Luke? Von deinem Stolz leben?«
»Warum glaubst du, dass er überhaupt bereit wäre, mit mir zu sprechen?«
»Du könntest es zumindest versuchen.«
Ich saß da und sah sie an. Dann warf ich kapitulierend die Hände hoch und meinte: »Gut, ich ruf an.« Ich nahm mein Handy und wählte die Handynummer meines Vaters, wobei ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Doch ich musste nicht weiter darüber nachdenken. Es war nur eine automatische Ansage mit der Auskunft zu hören, dass die Nummer, die ich gewählt hatte, abgeschaltet worden sei. Es ergab keinen Sinn. Mein Vater hatte die gleiche Handynummer, seit es die ersten Handys in der Größe von Butterbrotdosen gab. Nur wenige Menschen kannten seine Privatnummer. Mir fiel kein Grund ein, warum er sein Telefon abgemeldet haben sollte.
»Er hat sein Telefon abgemeldet«, sagte ich. Ich wählte die direkte Durchwahl zu meinem Vater in der Zentrale von Crisp’s. Eine weibliche Stimme, die ich nicht kannte, meldete sich. »Hier ist das Büro von Mr Price.«
»Hier ist Luke Crisp. Ist mein Vater da?«
»Wie bitte?«
»Ist Carl Crisp da?«
»Es tut
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