Damals im Dezember
Installationszubehör statt. Ich besaß einen Prädikatsabschluss von der Arizona State University, einen MBA von der Wharton, hatte ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen geleitet, bevor ich zwanzig war, und nun befand ich mich in einem Lagerhaus, saß auf einem gepolsterten Kunststoffstuhl und war von der Gnade eines neunzehnjährigen Mädchens abhängig, das einen Lippenring, zwei Nasenringe und ein riesiges Tattoo im Nacken trug und die Grammatik nicht beherrschte.
Ich bekam die Stelle nicht. Ich bekam überhaupt keine Arbeit.
Am Ende meiner dritten Woche auf der Straße packte mich die Verzweiflung. Ich bewegte mich wie im Nebel, was kein Wunder war, da ich, seit ich das Bellagio verlassen hatte, nie wesentlich mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen hatte.
Eines Morgens sah ich im Fenster eines Gebäudes mein Spiegelbild und musste stehen bleiben, um mich zu vergewissern, dass ich das wirklich war. Ich war unrasiert und schmutzig, und mein Haar war lang und auf einer Seite verfilzt. Mir wurde bewusst, was die Leute sahen, wenn ich mich um eine Stelle bewarb. Ich sah elend und obdachlos aus.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Unter den Straßen von Las Vegas gibt es ein stilles, unterirdisches Dorf mit den Obdachlosen der Stadt. »Es ist kein schlechtes Leben«, sagte einer der Tunnel-Bewohner zu mir. »Zwei Wände und darüber ein Dach. Besser als im Park zu schlafen.«
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Das Leben im Park wurde immer untragbarer. In einer Nacht hörte ich, wie ein Drogendeal direkt auf der anderen Seite des Busches abgewickelt wurde. Glücklicherweise wussten sie nicht, dass ich da war. In einer anderen Nacht erwachte ich durch das Geräusch eines Polizeifunks. Ich spähte aus meinem Versteck und sah am Rand des Parks drei Streifenwagen stehen. Jemand war erstochen worden. In dem Moment beschloss ich umzuziehen.
Am nächsten Morgen ging ich in einen Gebrauchtwarenladen und kaufte eine Taschenlampe mit Batterien, einen Schlafsack, ein aufblasbares Kissen, ein Paket Toilettenpapier und ein Bowiemesser. Ich schnallte mir das Messer ans Bein und befestigte den Schlafsack und das Kissen an meinem Rucksack. Bei meinem Herumwandern war ich rund eineinhalb Kilometer vom Park entfernt an der Öffnung zu einem der Regenwassertunnel vorbeigekommen. Als ich auf den Tunnel zuging, hatte ich das Gefühl, als ginge ich in das Maul einer Bestie, die mich vielleicht für immer verschlingen würde.
Ich schaltete meine Taschenlampe an und betrat den Tunnel. Ungefähr 20 Meter hinter dem Eingang kam ich an zwei Leuten vorbei – einer war betrunken, der andere ohnmächtig. Ich ging weiter durch die Dunkelheit. Außer den Ratten sah ich sonst niemanden, obwohl ich an einigen Stellen vorbeikam, die nach Urin und Fäkalien stanken.
Rund hundert Meter hinter dem Tunneleingang fand ich eine Stelle, wo jemand »Home, sweet home« an die Wand gesprüht hatte. Ich lehnte meine Taschenlampe gegen die Betonmauer, baute mir aus herumliegendem Müll, Karton und Zeitungen eine Lagerstätte, blies mein Kissen auf und entrollte meinen Schlafsack. Dann schaltete ich die Taschenlampe aus und legte mich hin. Bevor ich einschlief, zog mir ein Gedanke durch den Kopf – derselbe, den ich auch in Saint-Tropez gedacht hatte: »Wenn mich Dad jetzt bloß sehen könnte.«
Während der Zeit, die ich im Untergrund verbrachte, begegnete ich vielen Menschen. Zu ihnen gehörte auch ein Paar, das ein Bett mit Kopfteil in den Tunnel geschleppt hatte. Sie hatten auch Drucke von Ansel Adams an die Betonwände des Tunnels gelehnt – sie hatten sich dort richtig behaglich eingerichtet.
Ob die Tunnel je überschwemmt wurden, weiß ich nicht. Während ich da war, passierte es nicht, aber die meiste Zeit lief in der Mitte ein schmales Rinnsal, das wir nutzten, um uns zu waschen.
***
Einige Zeit, nachdem ich in den Tunnel gezogen war, tauchten oben in den Schaufenstern der Stadt allmählich die Weihnachtsdekorationen auf. Es ist merkwürdig, wie bedeutungslos Zeit wird, wenn man nichts an ihr festmachen kann. Ich besaß keinen Kalender und keine Uhr mehr und hätte auch keine Verwendung für sie gehabt. In meinem Leben ereignete sich nichts, es gab keine Verabredungen, keinen Urlaub, nur das tägliche Überleben. Ich redete mir weiterhin ein, dass ich meiner Lage schon noch irgendwie entkommen würde, aber von Tag zu Tag schien das unwahrscheinlicher zu werden. Wenn ich konnte, aß ich in der Suppenküche, aber nicht immer, und mein Geld schwand
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