Damals im Dezember
von Betten zur Verfügung stand. Aber viele der Obdachlosen mieden die Unterkünfte ohnehin, nachdem sie dort zusammengeschlagen oder bestohlen oder auch beides worden waren.
Natürlich waren die Straßen auch nicht sicherer. Die Obdachlosen wurden Opfer anderer Obdachloser, Drogenabhängiger, Gangs und manchmal sogar der Polizei. In einer zivilisierten Gesellschaft gibt es Regeln, Höflichkeiten und Heuchelei, aber sie gelten nicht für diejenigen, die auf der Straße leben. Die Existenz draußen auf der Straße ist so brutal wie die Natur selbst – eine gewalttätige Welt, in der die Starken die Schwachen jagen.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Wenn du dich nicht aus dem Treibsand befreien konntest, als du noch stark warst, wie willst du dann aus ihm rauskommen, nachdem du all deine Stärke verloren hast?
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Die nächsten paar Tage war mein Platz hinter dem Busch im Park mein Standort. Ich suchte mir einen Karton, den ich flach auf die vom Busch abgefallenen Nadeln legte. Ich kaufte ein Brot und eine Schachtel Cracker, ein Paket Toilettenpapier und eine Plastikflasche mit Wasser, die ich mehr wegen des Behälters als wegen der Flüssigkeit erstand.
Ich kaufte eine Zeitung und begann, mir die Anzeigen in der Rubrik »Aushilfen gesucht« anzusehen. Ich fand auch ein paar freie Managementstellen und rief dort von einem Münzfernsprecher in einem 7-Eleven-Geschäft aus an, um Vorstellungstermine zu vereinbaren. Mein erstes Gespräch mit einem Bürobedarfsunternehmen fand zwei Tage später statt.
Am Tag des Vorstellungstermins rasierte ich mich, und ich wusch mich mit den Papierhandtüchern aus der Toilette einer nahegelegenen Tankstelle. Dann zog ich meine sauberste Kleidung an. Als ich mich im Spiegel betrachtete, wünschte ich, dass ich mir die Haare in Europa nicht so lang hätte wachsen lassen. Ich tat mein Bestes, um es gut aussehen zu lassen, dann ging ich die sieben Kilometer zu dem Vorstellungsgespräch zu Fuß.
Ich kam schweißüberströmt von meinem Marsch bei dem Termin an. Außerdem war meine Haut von dem Leben draußen sonnenverbrannt, und meine Augen waren durch das Schlafdefizit verquollen. Weil ich keine andere Möglichkeit hatte, trug ich meinen Rucksack bei mir, was in dem Unternehmensumfeld deplatziert wirkte.
Die Empfangsdame reagierte gleichgültig auf mich, und ich wartete fast eine Stunde lang in der Lobby, was mir offen gestanden nichts ausmachte, da dort eine Klimaanlage und weiche Kunststoffsofas vorhanden waren. Als die Personalchefin endlich in die Lobby kam, um mich abzuholen, konnte ich an ihrer Miene ablesen, dass ich bereits durch das Gespräch gefallen war.
Das Erste, wonach mich die Frau fragte, war mein Lebenslauf, den ich nicht vorweisen konnte, auch wenn ich ihr einen mündlichen anbot. Sie hörte mir einen Moment lang zu, aber ich merkte, dass sie dies nur aus Höflichkeit tat. Sie stellte mir nur noch ein paar oberflächliche Fragen (die obligatorischen, nicht diejenigen, die man stellt, wenn man ein ernsthaftes Interesse daran hat, den anderen einzustellen), und dann sagte sie mir, dass sie mich für den Fall, dass man sich für mich entscheiden sollte, anrufen würden – wobei sie die Tatsache außer Acht ließ, dass sie mich gar nicht nach meiner Telefonnummer gefragt hatte.
Im Laufe der nächsten Woche ging ich zu drei weiteren Vorstellungsgesprächen – alle mit ähnlichen beziehungsweise noch schlechteren Ergebnissen, was vermutlich auf meine wachsende Verzweiflung zurückzuführen war. Mein Vater pflegte zu sagen: »Die Welt bietet dir nur das an, was du nicht brauchst.« Möglicherweise hatte er recht. Man erhält keinen Bankkredit, wenn man nicht nachweisen kann, dass man ihn nicht braucht, und es ist schwer, eine Stelle zu bekommen, wenn man nicht bereits eine hat.
Trotz meiner Sparsamkeit und meines Hungerns ging mir schon bald das Geld aus, sodass ich nach nur einer Woche voller Absagen beschloss, meine Ansprüche zu senken. Ich bewarb mich für vier Stellen als Reinigungskraft. Wenn ich schon nicht in einem Büro arbeiten konnte, dann konnte ich in der Zwischenzeit zumindest eins putzen. Erstaunt stellte ich fest, gegen welche Konkurrenz man sich durchsetzen musste, wenn man eine Arbeit als Gebäudereiniger bekommen wollte – selbst in einer Lagerhalle.
Tatsächlich waren die Bewerbungsgespräche für die Reinigungsstellen unangenehmer als die für die Führungspositionen. Eines fand mit der Tochter eines Großhändlers für
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