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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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tausend andere Sachen.«
    »Bewundernswert«, meinte ich. »Was mache ich, wenn jemand nicht essen will, was auf dem Speiseplan steht?«
    »Die Bewohner können sich etwas anderes aussuchen, wenn sie wollen. Sie können auch einen Chefsalat, Suppe mit Brötchen oder einen Obstteller bekommen. Wir haben einen Bewohner, Mr Bills in Zimmer 16, der jeden Abend Sandwichs mit Erdnussbutter und Marmelade isst. Ich habe sogar schon ein Essen für Bewohner aus dem In-N-Out Burger geholt.«
    Wir gingen zur Schwesternstation zurück.
    »Stimmt es, dass Sie hier in der Einrichtung wohnen?«, fragte sie.
    »In Zimmer 11«, bestätigte ich.
    »Das ist untypisch«, sagte sie und fügte dann hinzu: »Zumindest muss ich mir keine Sorgen machen, dass Sie nicht zur Arbeit erscheinen.«
    Ich half Sylvia noch bis kurz vor fünf Uhr bei der Erledigung einer Vielzahl von Besorgungen und begann dann, die Bewohner in den Speisesaal zu rollen. Der Vorgang dauerte länger, als ich vermutet hatte, und ich bemerkte, dass dieser Beruf eine immense Geduld erforderte. Es war eine ganz andere Welt als in der Kopierbranche, wo alles nach festen Zeit- und Geschwindigkeitsvorgaben ablief.
    Ich teilte das Essen in den Zimmern aus, auch in Harolds, der entweder vergessen hatte, dass er mich nicht mochte, oder seine Meinung über mich geändert hatte. Ich fragte ihn, warum er sein Essen nicht im Speisesaal einnahm, worauf er antwortete: »Ich esse nicht mit all diesen alten Leuten. Das ekelt mich an.«
    Einige der Bewohner waren sehr interessiert an mir und dankten mir überschwänglich für meine Hilfe. Einer sagte zu mir: »Sie sind sehr liebenswürdig. Ihre Mutter hat gute Arbeit bei Ihnen geleistet.«
    »Mein Vater hat das getan«, entgegnete ich.
    Um zehn Uhr sagte ich Sylvia gute Nacht und stempelte aus. Ich holte mir ein Mineralwasser und ein Stück Apfelkuchen aus der Küche, nahm beides mit in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett. Ich empfand eine außergewöhnliche Dankbarkeit. Mehr als das: Ich hatte das Gefühl, wieder ich selbst zu sein. »Merkwürdig«, dachte ich. Ich war nicht nur glücklicher, als ich es auf der Straße gewesen war. Ich glaube, ich war auch glücklicher als in Europa.

Einunddreißigstes Kapitel
    Ein wahrer Beweis der Dankbarkeit besteht darin, das zurückzugeben, wofür man dankbar ist.
    Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
    Ein paar Tage später rief mich Carlos in sein Büro. Als ich eintrat, fragte er mich: »Haben sie dir an der Wharton auch etwas über Marketing beigebracht?«
    »Ja«, bestätigte ich. »Und ich habe das Marketing für zwölf Shops meines Vaters gemacht. Ich bin wirklich ziemlich gut darin.«
    »Vielleicht kannst du mir aus der Klemme helfen. Wir haben zu viele freie Betten.«
    »Ich könnte dir da helfen«, erwiderte ich. »Aber dann würde ich mich selbst aus meinem Zimmer vertreiben.«
    »Wenn du diese Betten belegen kannst, werde ich für dich eine Unterkunft finden«, versprach er. »Und für jeden neuen Vertrag zahle ich dir eine Provision von fünfhundert Dollar. Ist das in Ordnung?«
    Dreizehn Betten mit einer Provision von je fünfhundert Dollar. »Klingt toll«, schlug ich ein.
    Er sah mich nachdenklich an. »Ich habe gedacht, dass du vielleicht bereit wärest, hier auf Dauer zu arbeiten.«
    »Ich weiß das Angebot zu schätzen«, meinte ich lächelnd. »Aber eines Tages würde ich gern mehr bekommen als den Mindestlohn.«
    Carlos lachte. »Ja, vermutlich wärest du noch nicht mal mit meinem Gehalt zufrieden. Man versucht’s halt mal.«
    »Ich bleibe so lange hier, wie du mich brauchst. Außerdem muss ich das auch. Ich habe sonst nichts anzuziehen.«
    »Darüber habe ich schon nachgedacht. Ich kann dir etwas vorschießen. Wenn du willst, fahren wir Samstagmorgen zu einem Laden, wo du dir ein paar Sachen kaufen kannst.«
    »Das wäre wirklich fantastisch.« Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an. »Carlos, warum bist du so gut zu mir?«
    »Ich habe dir doch gesagt, mein Freund, dass wir Brüder sind, oder?«
    »Das weiß ich. Aber warum wirklich?«
    Er musterte mich eine Weile, dann huschte ein trauriges Lächeln über sein Gesicht. »Die Wahrheit?«
    »Natürlich.«
    »Ich verstehe ein wenig, was du durchmachst. Ich bin Alkoholiker. Vor achtzehn Jahren habe ich meine Stelle verloren – und fast auch noch meine Frau und meine Kinder. Wenn ich so weitergemacht hätte. Dann hat mich jemand gerettet. Er blieb während meines Entzugs bei mir, fuhr mich zu meinen Treffen bei den Anonymen

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