Damals im Dezember
Tagebuch von Luke Crisp
Die Werbung, die ich für das Golden Age gestaltet hatte, war gleich am Sonntag in der Las Vegas Sun erschienen. Als ich meinen ersten Tag bei Crisp’s beendete und zum Pflegezentrum zurückkehrte, hatte Carlos bereits achtundzwanzig Telefonanrufe erhalten. Er war aufgeregt wie ein Kind zu Weihnachten. Als ich hereinkam, umarmte er mich, was ungut war, da meine Rippen noch immer schmerzten.
»Das war super, Kumpel«, sagte er. »Du hast es geschafft. Wir sind ausverkauft.«
»Bedeutet das, dass ich mein Zimmer verliere?«, fragte ich.
»Ja und nein. Ich habe mit dem Besitzer des Zentrums gesprochen, Mr Shantz. Er ist damit einverstanden, dich in den Desert Spring Apartments einen Block entfernt von hier unterzubringen, wenn du uns weiter beim Marketing hilfst.«
Ich nickte. »Kein Problem. Aber ich muss mit dir über meine Stelle sprechen. Ich habe gerade einen anderen Job angenommen.«
Die Freude wich aus seinem Gesicht. »Du verlässt uns schon?«
»Nein. Ich meine, hoffentlich nicht. Ich muss nur die Arbeitszeiten ein wenig anpassen. Es ist mir gelungen, eine Stelle bei Crisp’s zu bekommen, wo ich bis vier arbeite, sodass ich noch immer rechtzeitig wieder hier sein und Sylvia beim Essen helfen könnte – und ich kann alles an Marketing machen, was du brauchst.«
Er sah mich mit einer gewissen Erleichterung an. »Das wird gehen. Um wie viel Uhr beginnst du morgens mit der Arbeit?«
»Um acht.«
»Wie viel ist das insgesamt? Vierzehn, fünfzehn Stunden pro Tag?«
»So in etwa«, bestätigte ich.
»Das ist ein hartes Pensum, Amigo. Bist du sicher, dass du das schaffst?«
»Ich hatte den Großteil meines Lebens solch ein Pensum.«
»Und wann findest du Zeit zum Leben?«
Ich wandte mich zum Gehen. »Mach dir keine Sorgen um mich, mein Freund. Ich habe so viel gelebt, dass es ein Leben lang reicht.«
***
Von klein auf hatte mir mein Vater den Wert harter Arbeit vermittelt. Zwei Vollzeitjobs waren keine Kleinigkeit, aber sie würden mich auch nicht zerbrechen. Ja, es war sogar ein wenig erfrischend, die Person, die ich einmal gewesen war, wiederzuentdecken. Die Arbeit lenkte mich auch von meinen Schmerzen ab. Und ich litt unter mancherlei Schmerzen und hatte zahlreiche Gründe zur Trauer. Ich trauerte um den Verlust meines früheren Lebens und die Chancen, die ich für so selbstverständlich gehalten hatte. Ich trauerte Candace nach und fragte mich, ob ich je wieder jemanden finden würde, den ich lieben konnte.
Am meisten aber trauerte ich meinem Vater nach. Wie hatte ich ihn nur derart verletzen können? Er fehlte mir. Mir fehlte das gemeinsame Arbeiten und Planen und die Art, wie wir wortlos miteinander kommuniziert hatten. Ich machte mir Sorgen, dass er möglicherweise weitere Probleme mit seinem Herzen hatte. Er konnte sterben, ohne dass ich davon erfuhr. Das Wissen, dass ich ihm so viel Leid bereitet hatte, zerfraß meine Seele. Es ist eine Sache, achtlos mit Geld umzugehen, aber es ist eine weit schlimmere Sache, mit dem Herzen eines anderen achtlos umzugehen – vor allem, wenn dieser andere dich geliebt hat.
So sehr ich es auch wollte, ich wusste, dass ich nie mehr zurück zu meinem Vater gehen konnte. Es war nicht der Stolz, der mich daran hinderte – davon war nicht mehr viel übrig geblieben. Ich konnte nie mehr zurückgehen, weil ich ihn nach all dem, was er für mich getan hatte, im Stich gelassen hatte. Ich hatte sein Vertrauen enttäuscht. Ich hatte ihn alleingelassen, als er mich am meisten brauchte. Ich konnte nicht zurückgehen, weil ich seine Liebe nicht verdient hatte.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Jeder trägt eine geheime Last. Jeder. Manche Menschen können sie nur besser verbergen als andere.
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Ich arbeitete, um mein Leben wieder aufzubauen. Ich besorgte mir ein neues Handy, einen neuen Führerschein, und ich eröffnete ein Sparkonto bei einer Bank, die einen Block südlich vom Copyshop lag. Ich konnte zwar nicht behaupten, dass ich mein altes Leben zurück hatte – das war für immer dahin –, aber mit meinem Leben ging es eindeutig aufwärts.
Es vermittelte mir ein gutes Gefühl, ein wenig zusätzliches Geld zu besitzen. Das gab mir Sicherheit. Ich lebte wieder genügsam – genau wie mein Vater und wie einst auch ich. Die meisten meiner Mahlzeiten aß ich im Golden Age. Ich nahm sogar übriggebliebenes Essen vom Zentrum zu Crisp’s mit, um am nächsten Tag das Geld für das Mittagessen zu sparen. Ohne Kosten
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