Damals warst du still
körperlich?«
Claudia Gianfranco senkte den Kopf, Berghammer machte eine hastige Bewegung, die Mona mehr spürte als sah. »Frau Gianfranco?«, hakte sie nach.
»Ich... Das habe ich gestern Ihren Kollegen schon...«
»Ich würde es gern auch noch mal hören.«
Claudia Gianfranco machte ein Geräusch, als würde sie alle Luft, die in ihr war, von sich geben. »Okay«, sagte sie wie jemand, der sich nicht mehr wehren mag. »Er hat mich mehrfach geschlagen. Nicht oft – vielleicht zwei- oder dreimal.«
Berghammer und Fischer fuhren beinahe hoch, Mona wandte nun doch den Kopf nach links zu Fischer und rechts zu Berghammer. Die Gesichter der beiden waren undurchdringlich, aber sie saßen plötzlich kerzengerade da, und somit war eins klar: Das hatte die Frau ihnen gestern nicht erzählt. Mona spürte ein leichtes Triumphgefühl, ihre Aktien stiegen messbar bei Berghammer, obwohl diese Aussage zwar gut klang, aber immer noch nichts bewies. Nicht das Geringste außer – immerhin – die Bereitschaft zur Gewaltanwendung.
»Entschuldigen Sie, dass ich das frage«, sagte Mona. »Aber wie hat er Sie geschlagen? Wie lief das ab?«
»Einmal eine Ohrfeige. Einmal knallte er mich an die Wand. Ich bin ziemlich kräftig, wissen Sie. Aber Männer sind immer stärker. Immer.«
»Ja, ich weiß.«
»Das ist eine frustrierende Erfahrung.«
»Ich weiß. »
Die beiden Frauen schwiegen, als seien sie allein im Raum. Schließlich fragte Mona: »Möchten Sie etwas trinken oder essen? Sich frisch machen?«
»Nein.«
»Möchten Sie...«, es war nur ein Instinkt, mehr nicht, »... vielleicht noch etwas loswerden? Etwas, das hier noch nicht zur Sprache gekommen ist?«
Ein leiser Seufzer. Dann: »Ja... also...«
»Ja?«
»Da ich schon mal dabei bin... Ich bin da gestern nicht mehr so dazu gekommen.« Claudia Gianfranco sah Fischer und Berghammer entschuldigend an.
»Worum geht’s denn?«
»Ich, ich weiß nicht, ob dieser Plessen wirklich nur Opfer ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er... Als es Paolo so schlecht ging, habe ich etwas recherchiert, im Internet. Ich habe mir Zusammenschnitte von seinen Fernsehauftritten besorgt. Ich finde, er ist eine sehr zweifelhafte Person mit sehr zweifelhaften Ansichten.«
»Inwiefern?«, fragte Mona aufmerksam und in dem Bewusstsein, dass sie genau das versäumt hatten: sich näher mit den Theorien zu befassen, nach denen Plessen arbeitete. Mona hatte Plessen vernommen, und er hatte ihr bei dieser Gelegenheit ein paar Grundzüge erklärt, aber das war alles gewesen und bestimmt nicht genug. Zu wenig Zeit war kein Argument. Zu wenig Lust, sich in eine ihr fremde Materie zu vertiefen, dicke, schwierige Bücher zu lesen und davon nur die Hälfte zu kapieren: Das traf die Sache schon eher. Die nächste stürmische Regenfront verdunkelte das Büro, und Fischer stand auf, um das Licht anzumachen.
»Inwiefern?«, wiederholte sie, als Claudia Gianfranco sichtlich nach Worten suchte.
»Kennen Sie den Fall der Frau, die krebskrank war und die Plessen dazu bringen wollte, alle Hoffnung fahren zu lassen, weil angeblich nur ihr Tod ihre Familie retten könnte?«
»Nein«, sagte Mona, und dann fiel ihr Sonja Martinez ein. Das hörte sich irgendwie ähnlich an.
»Der Tod ist etwas Schönes. Lassen Sie sich fallen in das Unvermeidliche.«
»Das hat Plessen gesagt?«
»Ja. Sie müssen wissen, in der Schweiz ist Plessen schon etwas länger bekannt als hier. Er hat einige Seminare öffentlich abgehalten. Ich war bei einem in Zürich dabei, als Zuschauerin. Die Frau hat geweint. Sie hatte die Hoffnung zu überleben, und dann sagt ihr einer, stirb, du störst hier nur noch.«
»Hat Plessen das wirklich so gesagt?«
»Das musste er doch nicht! Die Botschaft ist doch sowieso klar!«
»Was haben Sie sonst noch herausgefunden?«
»Die Theorien, an die er glaubt, sind sehr konservativ. Ehre deine Eltern, egal wie sie zu dir waren, denn sie sind Teil eines größeren Ganzen, lautet eine von ihnen. Eine andere ist, dass ältere Männer keine jüngeren Frauen heiraten dürfen, und ältere Frauen keine jüngeren Männer. Dass Männer niemals zum Wohnort, zur Familie ihrer Frau wechseln dürfen, nur umgekehrt sei das möglich.«
»Warum?«
»Das würde die quasi naturgegebene familiäre Dynamik stören. Wenn jemand widerspricht, ruft er ins Publikum: Und, wie war das bei Prinzessin Anne und ihren Männern, die alle nicht geblieben sind? Dann lachen alle und vergessen, dass bei Prinzessin Diana und Prinz
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