Damals warst du still
mein Mann, und...« Claudia Gianfranco schwieg. Ihre Augen blieben trocken, aber die Hand, die die fast zu Ende gerauchte Zigarette hielt, zitterte.
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte Mona sanft. Weil sie neben ihnen saß, konnte sie Fischers und Berghammers Gesichter nicht sehen, aber die beiden verhielten sich mucksmäuschenstill, was normalerweise gar nicht Fischers Art war, Mona aber sehr angenehm fand.
Die Frau nahm einen tiefen Zug und drückte den Stummel aus. Ihre Bewegungen waren wieder ruhig und sicher. »Tut mir Leid«, sagte sie.
»Das macht nichts«, sagte Mona. »Sie sind in einer Ausnahmesituation. Sie müssen sich hier nicht zusammennehmen. Es ist nur so, dass wir trotzdem einige Informationen von Ihnen brauchen.«
»Ja, natürlich. Deshalb bin ich ja auch hier.«
»Ist es okay, wenn wir weitermachen?«
»Mir geht es wieder gut. Bitte fragen Sie ruhig.«
»Warum waren Sie in dieser Pension?«
»Paolo hatte mich angerufen. Er war verzweifelt, er hat mich gebeten zu kommen. Er hat nicht gesagt, warum, aber ich dachte, ich müsste das tun. Ich sei ihm das schuldig.«
»Okay. Der Kollege von der Todesermittlung hat Sie dazu veranlasst, uns zu benachrichtigen?«
»Ja.«
»Aufgrund des Artikels über die Morde an Samuel Plessen und Sonja Martinez, der im Besitz Ihres Mannes war?«
»Ja. Paolo – mein Exmann – hatte den Artikel ausgeschnitten. Und noch einige andere, die sich mit derselben Thematik befassten.«
»Wann hatten Sie Ihren Exmann zum letzten Mal gesehen?«
»Sie meinen vor gestern? Das ist ungefähr..., ich weiß nicht, etwa einen Monat her. Es war in Zürich, kurz nach dem Seminar bei diesem Plessen.«
»Wie verlief dieses letzte Treffen?«
»Er hat mich angerufen. Es war schon ziemlich spät, sicher halb zwölf, zwölf. Ich war schon ins Bett gegangen. Jedenfalls klingelte das Telefon, und ich bin herangegangen, und er... Ich habe ihn weinen gehört. Es war so schlimm, dass er anfangs kaum sprechen konnte.«
»War das unmittelbar nach dem Seminar?«
»Ja. Er war mit dem Zug zurück nach Zürich gekommen und hat mich direkt angerufen, noch vom Bahnhof aus.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte, dass er jetzt nicht in seine leere Wohnung könne, dass er das einfach nicht schaffen würde und ob er ausnahmsweise bei mir übernachten könne. Ich war natürlich überhaupt nicht begeistert, aber ich habe ja gesagt. Eine Viertelstunde später stand er dann vor der Tür, und ich habe ihn fast nicht mehr wiedererkannt.«
»Wieso?«, fragte Mona. »Was war mit ihm?«
Claudia Gianfranco zündete sich die nächste Zigarette an und zog den Rauch ein, als wäre er Nahrung für sie. Ihr Gesicht war um ein paar Schattierungen blasser geworden, aber sie hielt sich immer noch sehr gut. »Er hatte einen Dreitagebart und war ganz hohlwangig – als hätte er in den letzten drei, vier Tagen nichts mehr gegessen. Und seine Augen waren... Ich weiß nicht, die sahen so verzweifelt aus, so total verängstigt.«
»Haben Sie vorher gewusst, was für eine Art Seminar das ist? Hat Herr Gianfranco mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Ja, ich glaube schon. Kurz. Er hat gesagt, es ginge um seine Familie. Irgendwelche Strukturen. Mich hat das damals nicht so interessiert, wie gesagt. Ich fand immer, dass ihn diese ganzen Leute noch schwächer gemacht haben, als er ohnehin schon war. Ich...«
»Und jetzt«, unterbrach sie Mona, um das Ganze etwas zu beschleunigen, »als er Sie nachts besuchte: Was hat er da über das Seminar berichtet? Wie lief das in seinen Augen ab?«
»Nun, es waren ungefähr zwanzig Leute da, Männer und Frauen, und...«
»Entschuldigung, aber das meine ich nicht. Den Ablauf finde ich nicht so interessant. Ich meine, was kam im Fall von Paolo Gianfranco heraus? Welche Probleme hatte er laut Plessen? Was war das Ergebnis?«
Die Frau schwieg ein paar Sekunden. Man hörte das Brummen des Verkehrs, die Straßenbahn und – neu dazugekommen – das zischende Geräusch von Autoreifen auf nassem Asphalt. Der Regen, anfangs recht warm, war in den letzten Stunden eisig geworden, die Temperatur um mindestens fünfzehn Grad gefallen, das Juliwetter unversehens in Oktoberwetter übergegangen. Nur in den schlecht zu lüftenden Büros hielt sich noch die Restwärme der vergangenen Wochen. Mona war seit sechs Uhr auf den Beinen und direkt vom Flugplatz ins Dezernat gekommen. Vor dem Hubschrauberflug hatte sie mit Anton telefoniert, und er hatte ihr das Versprechen abgenommen, abends spätestens um
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