Damals warst du still
dass Sie diese Frau verhört haben, direkt bevor der Mord passiert ist?«
»Nein«, sagte Mona.
»Stimmt es...«
»Nein. Ich meine: Wir können später reden. Nicht jetzt.«
»Lassen Sie die Kollegin in Ruhe«, mischte sich Fehrhaber mit barscher Stimme ein, nicht um Mona zu Hilfe zu kommen, sondern weil er sich ärgerte, plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Das sah man ihm so deutlich an, als stünde es in fetten Lettern auf seiner Stirn. Mona schloss einen Moment lang die Augen. »Ist schon gut«, sagte sie dann. »Lassen Sie uns jetzt reingehen.« Fehrhaber betrachtete sie einen Moment lang mit zusammengezogenen Brauen, dann nahm er väterlich Monas Arm, was sich Mona gern verbeten hätte, denn sie fand den Mann ziemlich unangenehm. Aber sie wusste nicht, wie sie das anstellen sollte, ohne unhöflich zu werden. Fischer und Berghammer konnte sie nirgendwo sehen, wahrscheinlich waren sie schon drinnen, konnten sich in aller Ruhe umsehen, während sie diesen Fehrhaber nicht loswurde.
»War die Spurensicherung schon da?«, fragte sie ihn.
»Natürlich. Die Nachbarin hat uns ja schon gegen halb acht alarmiert. Hier ist alles praktisch erledigt.«
»Gut«, sagte Mona.
»Die Leiche ist natürlich noch da. Extra für Sie.«
»Was?«
»Nun, wir haben an Sie gedacht. Dass Sie die Leiche so sehen sollen, wie man sie vorgefunden hat. Sonst hätte Ihre Anwesenheit ja gar keinen Sinn.«
Sollte das eine Anspielung sein? Falls ja, beschloss Mona, sie zu überhören. Die Ermittlungen waren jetzt allein in der Verantwortung der MK 1, beziehungsweise der SoKo Samuel. Die Marburger Kollegen hatten nichts mehr damit zu tun, außer als Handlanger, ob es ihnen nun passte oder nicht. Als sie am Eingang angelangt waren, streifte Mona Fehrhabers Hand von ihrem Arm und ging vor ihm ins Haus.
Die Leiche der alten Frau lag halb im Wohnzimmer, halb in der Diele. Die Nachbarin von gegenüber, eine Frau Smoltcyk, hatte sie gefunden, weil der Mörder die Haustür nicht nur offen gelassen, sondern sogar ein Buch zwischen Tür und Angel geschoben hatte. Er wollte also, dass Helga Kayser entdeckt wurde – und zwar schnell.
Warum diese Eile?
Sie würden Clemens Kern fragen müssen.
Helga Kayser lag auf dem Rücken, die Arme eng am Körper, die Beine gespreizt. Die Perücke saß ordentlich auf ihrem Kopf, aber sonst war sie, anders als die Leichen von Samuel Plessen und Sonja Martinez, vollkommen nackt, und Mona nahm sich ein paar Sekunden Zeit, den wehrlosen alten, schrecklich zugerichteten Körper zu betrachten und sich innerlich von Helga Kayser zu verabschieden, die sie nicht hatte retten können. Vielleicht wäre die alte Frau sowieso bald gestorben – ohne schützende Kleider sah man erst, wie krank und unterernährt ihr Körper gewesen war -, aber das war kein Trost, nicht im Geringsten. Es war Monas Aufgabe gewesen, diesen Mord zu verhindern, und sie hatte es nicht geschafft. Es wäre zu einfach, Berghammer die Schuld zu geben, der sich gegen Monas Willen auf einen falschen Verdächtigen eingeschossen hatte. Die Wahrheit war, dass sie bei der Vernehmung Helga Kaysers versagt hatte. Die alte Frau hatte etwas gewusst, und sie hatte nichts gesagt, weil Mona sie nicht richtig befragt hatte. Nicht einfühlsam genug. Nicht hartnäckig genug. Vielleicht auch nicht streng genug.
Mona kniete sich vorsichtig neben die Leiche. Berghammer und Fischer standen mit dem Rücken zu ihr vor der offenen Terrassentür und debattierten leise miteinander, ohne sie mit einzubeziehen, aber das war ihr egal. Dieser Fall war jetzt ihr Fall, ihrer ganz allein, und niemand, schon gar nicht diese beiden, würden ihn ihr wegnehmen. Sie sah auf den offen stehenden Mund der Leiche – auch Helga Kaysers Zunge war herausgeschnitten worden, als wollte der Täter sie noch nach dem Tod zur Stummheit verdammen. Sie fuhr mit der Hand ganz leicht über die bleiche, faltige Haut, den – wahrscheinlich mit Messerstichen – malträtierten Unterleib voller klaffender kleiner Wunden: Clemens Kern hatte Recht gehabt. Die Brutalität des Mörders steigerte sich. Sie betrachtete die unmittelbare Umgebung der Leiche. Es gab nur relativ wenig Blut, das hieß, dass der Täter dem Opfer die Verletzungen nach dem Tod zugefügt hatte. Das Muster der Serie passte zu hundert Prozent.
Der Schoß aus dem dies kroch...
Was war das? Mona schüttelte den Kopf, versuchte, diese seltsame Eingebung aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Ist fruchtbar noch...
Der Täter, dachte
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