Damals warst du still
Uniform aus dem Streifenwagen und begrüßte sie alle drei. Berghammer stieg vorne im Wagen ein, Fischer und Mona setzten sich in den Fond, so weit voneinander entfernt wie nur möglich.
»Wie war der Flug?«, fragte der Schupo, während er auf dem kleinen Landeplatz wendete und auf ein schwach erleuchtetes, flaches Gebäude zufuhr.
»Gut«, sagte Berghammer und räusperte sich. »Ziemlich ruhig.« Dabei war er noch vor fünf Minuten kreidebleich gewesen und hatte den Piloten um eine Tüte gebeten. Wenn Mona Männer um eine Eigenschaft beneidete, dann war es die ihrer Vergesslichkeit eigene Schwächen betreffend. Der Polizist bremste vor dem Gebäude und bat Berghammer, mit auszusteigen.
»Bloß der Formalkram«, sagte er. »Ich brauch’ne Unterschrift von Ihnen wegen dem Helikopter.«
Berghammer wälzte sich leise stöhnend aus seinem Sitz, Mona und Fischer blieben allein im Auto. Die Minuten vergingen; keiner von ihnen sagte ein Wort. Schließlich stieg Mona aus und lehnte sich an die Beifahrertür. Sie zündete sich eine Zigarette an und rauchte langsam und genussvoll. Es war angenehm kühl und sehr ruhig. Ein perfekter Moment. Mona wusste was sie in den nächsten Stunden erwarten würde: viel Trubel, eine scheußlich zugerichtete Leiche, eine Hausdurchsuchung, die die Kollegen in Marburg auf die Schnelle hatten richterlich genehmigen lassen und keine einzige Minute Schlaf in dieser Nacht. Aber diesen Augenblick der Stille konnte ihr niemand nehmen; er gehörte ihr, und das war gut so.
3
Freitag, 25. 7., 0.43 Uhr
Ein paar Minuten später kamen Berghammer und der Polizist zurück. Mona setzte sich wieder in den Wagen. Sie sah, dass Fischer sein Fenster geöffnet hatte und den Rauch seiner Zigarette in die frische Nachtluft blies. Wahrscheinlich wäre er auch gern ausgestiegen, hatte es aber sein lassen, um nicht nachzumachen, was Mona als Erste getan hatte. Unser Zusammenleben funktioniert nach Regeln, die im Sandkasten aufgestellt und dann nie wieder geändert werden , hatte Berghammer einmal gesagt, als würde er jemanden zitieren, und hatte danach hinzugefügt: Es hat keinen Sinn, sich darüber aufzuregen, nicht einmal, sich darüber lustig zu machen . Es ist einfach so, basta . Diesen Regeln zu Folge hatte Mona einen winzigen Sieg errungen, weil sie als Erste auf die Idee gekommen war, das Auto zu verlassen, womit sie Fischer gezwungen hatte, sitzen zu bleiben. Und viele winzige Siege summierten sich irgendwann zur gewonnenen Schlacht.
4
Freitag, 25. 7., 0.56 Uhr
Mona war katholisch erzogen worden, sofern man in ihrem Fall von Erziehung sprechen konnte (seelische Misshandlung traf es schon eher). Ihre Mutter war alles andere als eine brave Gläubige und eifrige Kirchgängerin gewesen, aber in manchen Augenblicken ihrer Krankheit heulte sie vor Angst vor dem Höllenfeuer, mit dem eines Tages ihre Sünden bestraft werden würden. Von ihr hatte Mona eine nicht ausrottbare Neigung zu abergläubischen Ängsten und magischen Obsessionen geerbt, die sie normalerweise auch vor sich selbst gut verbergen konnte. Aber ein Ort, der zum Tatort wurde, dessen war sie sich sicher, verlor seine Unschuld auf ewig. Er war entweiht durch die schlimmste Sünde, die Menschen begehen können.
Natürlich würde Mona diese Überzeugung nie jemandem mitteilen, schon gar nicht einem ihrer Kollegen. Aber das Unbehagen blieb. Jedes Mal musste sie sich aufs Neue überwinden, um hinzugehen, hinzusehen und sich nicht zu fürchten.
Die Reihenhaussiedlung, in der Helga Kayser wohnte – gewohnt hatte -, war eine grell beleuchtete Insel in einem Meer von Dunkelheit. Scheinwerfer waren aufgestellt, insgesamt sechs Streifenwagen blockierten die Straße, der gesamte Bereich um Helga Kaysers Haus war abgesperrt, der Verkehr wurde umgeleitet. Obwohl es mittlerweile fast halb zwei war, schien die ganze Nachbarschaft auf den Beinen zu sein. Mindestens dreißig Personen, viele in Schlafanzug und Morgenmantel, drängten sich um das rotweiße Band, das die Absperrung markierte. Fernsehen und Presse waren ebenfalls da; Mona sah ein Kamerateam und mehrere Fotografen.
Mona, Berghammer und Fischer wurden von ihrem Fahrer zu einem der ermittelnden Beamten geführt, einem großen, fetten Mann, der sich mit KOK Fehrhaber vorstellte und sich sichtlich ungern bei einem Interview mit einem Lokaljournalisten unterbrechen ließ. Der Journalist schien über die wichtigsten Umstände Bescheid zu wissen, denn er wandte sich sofort an Mona.
»Stimmt es,
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